Aus Ausgabe 2-3/97 (September)

"Ich bin ‘nur’ zu einer Freiheitsstrafe und nicht zum Arbeitslager verurteilt worden!"

Heiko Thiele wurde im November ´96 vom LG Hildesheim zu sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt (siehe OU 1/97). Die Revision wurde abgelehnt, ebenso eine eingelegte Verfassungsbeschwerde. Inzwischen hat Heiko seine Knaststrafe unter verschärften Bedingungen abgesessen. Nachdem der gefährliche Wehrkraftzersetzer auch die Moral im Knast untergrub, wurde er am 1.8.97 wieder auf die Menschheit losgelassen. (ko)

Im schriftlichen Urteil des LG Hildesheim heißt es u.a.: "Der Angeklagte ist Mitglied der Totalverweigerer-Initiative Braunschweig, die gleiche politische Ziele wie er verfolgt und eine gleiche Einstellung hat. Diese ist bemüht, Fälle von Totalverweigerern medienwirksam darzustellen ... Die Totalverweigerer-Initiative Braunschweig hat auch diesen Prozeß medienwirksam begleitet ... Die Kammer geht ... davon aus, daß der Angeklagte den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigert ... Die Gewissensentscheidung war im Rahmen des allgemeinen Wohlwollensgebotes gegenüber Gewissenstätern zu berücksichtigen ... Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe von 7 Monaten konnte jedoch nicht zur Bewährung ausgesetzt werden ... Zwar ist grundsätzlich auch bei Totalverweigerern Strafaussetzung zur Bewährung möglich. Die Initiative der Totalverweigerer, die von dem Angeklagten zumindest gebilligt wird, zielt jedoch darauf ab, die Wehrpflicht dadurch zu bekämpfen, daß auch solche Wehrpflichtige, die nicht aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern wollen, sich auf das Recht der Kriegsdienstverweigerung berufen ... Der hier in Rede stehende Fall ist auch medienwirksam dargestellt worden und in der früheren Einheit des Angeklagten bekannt geworden. Zwar ist der Einzelfall nicht geeignet, die Disziplin zu erschüttern. Es bestehen jedoch erhebliche Gefahren, daß andere Wehrpflichtige ohne die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus sachfremden Erwägungen den Wehrdienst verweigern oder ihre dienstlichen Pflichten ... nicht mehr genügend ernst nehmen. Dadurch wird die Disziplin der Truppe ernsthaft gefährdet. Dies ist dem Angeklagten auch vorzuwerfen, weil seine Totalverweigerung das politische Ziel der Abschaffung der Wehrpflicht verfolgt."

Nach dem Urteil des LGs legten Heiko und sein Anwalt Günter Werner Revision ein. Die Gründe: Das Urteil des LGs sei von Gesinnungsjustiz geprägt und die in Art. 4 Abs. 1 GG garantierte Gewissensfreiheit sei völlig ignoriert worden.

Die Staatsanwaltschaft stellte daraufhin den Antrag, die Revision abzulehnen. Wörtlich heißt es dort u.a.: "Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Angeklagte nicht wegen seiner Gesinnung verurteilt worden ist, sondern wegen einer Straftat, die er aus seiner Gesinnung heraus begangen hat. Diese Gesinnung ist daher als Motiv der Tat bei der Strafzumessung durchaus zu berücksichtigen ... Aus dem Urteil wird deutlich, daß es dem Angeklagten nicht nur um seine eigene Gewissensentscheidung geht. Er will vielmehr gegen die Wehrpflicht und den Zivildienst, der als Pendant dazu besteht, agieren und andere Wehrpflichtige durch sein Verhalten dazu veranlassen, es ebenso zu tun. Keinen anderen Sinn kann seine Tätigkeit in der Totalverweigerungsinitiative haben. Deshalb ist es ihm auch zuzurechnen, daß diese diesen Fall medienwirksam publiziert hat. Dies kann nur durch den Angeklagten veranlaßt worden sein."

Die Revision des Totalverweigerers wurde am 2.4.97 vom OLG als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Die Entscheidung, die der Vorsitzende Richter Moschüring, Richterin Roggenbuck und Richter Kaiser trafen, wurde nicht weiter begründet.

Am 14.5.97, also rund drei Wochen nach dem Bundestreffen der TKDVer, mußte er die siebenmonatige Haftstrafe antreten – und dies, obwohl von ihm am 7.5.97 gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt worden war. Die Staatsanwaltschaft Hildesheim gab jedoch einem Haftaufschub bis zur Entscheidung durch das BVerfG nicht statt. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen den Haftantritt wurde zynischerweise am 15.5.97, am "Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerer", vom BVerfG abgelehnt und damit auch die Verfassungsbeschwerde.

Zunächst verbrachte Heiko die Freiheitsstrafe in der JVA Burgdorf im sogenannten "offenen Vollzug". Ab dem 11.6.97 sollte der Totalverweigerer Freigang zur Fortsetzung seines Studiums bekommen. Allerdings mußte er vorher noch vier Wochen in der JVA Zwangsarbeiten verrichten. Heiko fügte sich. Auf seine jedoch wohl höchst "mangelhafte Leistung" von Arbeitsinspektor Lämmerhirt hingewiesen, erwiderte er: "Ich bin ‘nur’ zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden und nicht zum Arbeitslager!"

Dies kostete den Celleraner zwar nicht Kopf und Kragen, dafür aber seinen Ausgang und somit ein Semester seines Studiums und das zugehörige BAföG. Der Jura-Student übe durch seine "schlechte Arbeitshaltung [...] einen negativen Einfluß auf andere Gefangene" aus. Mit dieser Begründung wurde Heiko am 10.6.97 in die geschlossene JVA Uelzen überstellt.

Am 1.8.97 wurde Heiko schließlich nach einigem Hin-und-her entlassen. Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft jedoch Beschwerde gegen einen Beschluß der Strafvollstreckungskammer eingelegt, der vorsah, den Gewissenstäter nach 2/3 der Haftstrafe auf Bewährung zu entlassen. Nach einer Vermutung der Totalverweigerer-Initiative Braunschweig könnte das OLG Celle der Staatsanwaltschaft signalisiert haben, daß es den Beschluß der Strafvollstreckungskammer nicht aufheben werde. Die Staatsanwaltschaft zog ihre Beschwerde jedenfalls einige Tage später zurück und so stand Heikos Entlassung nichts mehr im Wege. Die Bewährungszeit läuft drei Jahre.


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