Aus Ausgabe 2-3/97 (September)

Bundestreffen der Totalen Kriegsdienstverweigerer 1997

Vom 25.-27.4.97 fand in Meisdorf bei Aschersleben erstmalig in Sachsen-Anhalt das diesjährige Bundestreffen der Totalen Kriegsdienstverweigerer statt. Wie jedes Jahr sollten die Kontakte der einzelnen Regionalgruppen verbessert und aufgefrischt werden. Wie jedes Jahr auch gab es wieder Arbeitsgruppen zu verschiedenen Bereichen der TKDV. Mit zeitweise über 30 Teilnehmern war das Treffen gut besucht und dürfte somit als eines der Größeren in die Geschichte der deutschen Totalverweigerer eingehen. (Red.)

Freitag

Das Treffen fand in einem Prunkstück des ehemals sozial existierenden Realismus (äh, wie jetzt...?), einer plattenbaumäßig errichteten Jugendherberge statt. Wie in Jugendherbergen üblich gab es zum Frühstück tiefgezogene Köstlichkeiten, zu jedem Essen den obligatorischen roten Früchtetee und hatte das Klopapier grobe Körnung. Sehr positiv hingegen war die Lage des Geländes einzustufen: mitten in der Pampa, umgeben von Wald und Bergen lud die Landschaft zwar zum Spazierengehen ein – leider hatte kaum jemand Zeit dafür.

Viele neue Gesichter waren zu sehen und mindestens ebenso viele alte. Entsprechend das Hallo, das am Freitag abend, als die meisten eintrudelten, durch die Gänge hallte. Überhaupt fand das Bundestreffen in ausgesprochen gelöster Stimmung statt. Und dies, obwohl laut Berichten der Totalen Kriegsdienstverweigerer Sachsen-Anhalt, die das Treffen organisatorisch begleiteten, der Staatsschutz Interesse angemeldet hatte und – was-auch-immer-befürchtend – bei den Herbergseltern Informationen einholte. Am ersten Abend des Treffens gab es schließlich noch die übliche Vorstellungsrunde, wobei – wie schon erwähnt – sich ja eh schon viele kannten und einige Leute mit ihren geographischen Kenntnissen und der Leistungsfähigkeit des Kurzzeitgedächnisses glänzten.

Samstag

Früh aufstehen hieß es und nicht allen dürfte dies leicht gefallen sein. Beim gemeinsamen Frühstück war denn auch das eine oder andere zerknautschte Gesicht zu sehen. Alles in allem kamen jedoch alle recht diszipliniert auf die Beine und so konnte es nach dem Frühstück mit der inhaltlichen Arbeit losgehen. Auf der Tagesordnung standen Berichte aus den verschiedenen Regionen. Im einzelnen gab es hier nicht viel neues. Allgemein wurde festgestellt, daß es zunehmend schwierig sei, TKDVer zu langfristiger Mitarbeit in den Organisationen zu bewegen. Zugleich wurde eine starke Abnahme an Totalverweigererprozessen und die nach wie vor teilweise sehr schlechte Vorbereitung der Angeklagten bemerkt.

Welche AG darf´s sein?

Aufgrund des großen Interesses der doch zahlreich erschienenen "Neutotis" gab es natürlich wieder eine "Einsteiger-AG". Das Interesse der "Veteranen" konzentrierte sich auf Prozesse, die damit verbundene Vorbereitung und die im Strafrecht vorgesehene Möglichkeit, sich durch einen Verteidiger freier Wahl vertreten zu lassen, der eben nicht notwendigerweise Rechtsanwalt sein muß.

Prozeß-AG

Eingangs wurde festgestellt, daß es eine verstärkte Tendenz gibt, vor Gericht mit gesellschaftlichem Engagement zu glänzen. Nach dem Motto: "Ich leiste zwar keinen Kriegs-(Zwangs-)dienst, aber ich leiste seit x-Jahren freiwillige Arbeit bei (für) ..."

Moralisch und prozeßtechnisch ist dies sehr fragwürdig und durchaus kein neuer Diskussionspunkt in der Szene. Jeder von einem Prozeß Betroffene sollte sich klar machen, daß sich sein Einzelfall auf den nächsten Toti auswirken kann. Und das könnte jemand sein, der kein besonderes gesellschaftliches oder soziales Engagement zeigt. Warum sollte dieser Mensch benachteiligt werden?

Die staatliche Pflicht, einen Kriegsdienst zu erfüllen, wird hier durch die – selbst auferlegte – moralische Verpflichtung ersetzt, daß Mensch halt irgendwie soziales Engagement zu zeigen habe. Aber warum eigentlich? Ist jemand per se unsozial, der dies nicht tut? Oder anders gefragt: Was hat sozial-gesellschaftliches Engagement mit der Verweigerung von Kriegsdiensten zu tun? Nix! Völlig davon abgesehen läßt sich nicht nachweisen, daß die erhoffte strafmildernde Wirkung auch tatsächlich eintritt. So wurde denn auch zu diesem Thema abschließend festgestellt, daß der Hinweis auf sozial-gesellschaftliches Engagement die Bildung von Ersatzdiensten für Ersatzdienste und Entschuldigungen für Verweigerungen fördere.

JUT is jut

Die Totalverweigerer-Initiative Braunschweig setzt auf die Ausweitung des JUT-Gedankens (Juristische Unterstützung für Totalverweigerer). Dabei vertreten Totalverweigerer oder andere Vertrauenspersonen den Angeklagten vor Gericht. Hintergrund dabei ist der Versuch, von der Position des einzelnen Angeklagten wegzukommen. Eine Gruppe von Totis steht somit vor Gericht und vermag durch eine stärkere Solidarität entschlossener aufzutreten. Kollektiv verweigert wurde in den 80er Jahren in Deutschland immer wieder mal, und auch in Spanien scheint dies weit verbreitet (siehe Intergalaktisches).

Ein Rechtsanwalt wird in den meisten Fällen versuchen, einen Mittelweg zwischen der rein juristischen Strategie und der politischen Konsequenz zu finden. Wenn die Strategie des Anwalts mit der eigenen Überzeugung nicht übereinstimmt, kann dies problematisch für den Totalverweigerer sein. Auch aus diesem Konflikt könnte JUT einen Ausweg bieten.

Allerdings – und das sollte insbesondere von den Menschen, die Interesse daran haben, andere zu vertreten – nicht unterschätzt werden, bedarf diese Unterstützungsarbeit intensive, inhaltliche und juristische Vorbereitung. Erfahrungsgemäß können etwa 2-3 Jahre gerechnet werden, bis die erforderliche "Fitneß" erreicht ist. Vorher sollten möglichst viele Prozesse besucht werden. Dies kann im übrigen auch jedem angehenden Totalverweigerer angeraten werden und könnte mit dafür sorgen, daß die Prozesse insgesamt wieder besser besucht sind, als dies zur Zeit in der Regel der Fall ist.

Die Antragstellung auf Zulassung zum Verteidiger kann in jedem Stadium des Verfahrens erfolgen, auch während eines Ermittlungsverfahrens. Dies ist wichtig im Hinblick auf mögliche U-Haft und das Besuchsrecht, das Verteidigern nicht verwehrt werden darf. Eine erteilte Zulassung hat Bestand durch alle Instanzen hindurch.

Torsten Froese schilderte seine Erfahrungen und Erlebnisse vor Gericht. Er hatte seinerzeit keinen Anwalt. Allerdings, so betonte er, hätte er einen lockeren Richter gehabt und sei gut vorbereitet gewesen. So hätte er seine Rede vortragen können.

Jugendstrafrecht

Häufig wiederkehrende Fragen betreffen das Jugendstrafrecht. Ob es angewandt wird, wird während des Prozesses geklärt. Straftaten nach Jugendstrafrecht (Alter unter 21 Jahren) werden vor dem Jugendschöffengericht oder dem Jugendrichter verhandelt. Ein formaler "Vorteil" des Jugendstrafrechts besteht im abgestuften System "milder" Sanktionen, die teilweise eher symbolischen Charakter haben. Der wesentliche Nachteil, den z.B. Axel Weiss (6 Monate ohne Bewährung) zu spüren bekam: Es gibt nur ein Rechtsmittel, d.h. nach der nächsten Instanz ist Schluß. Ein eher moralischer Aspekt des Jugendstrafrechts beschäftigt sich mit der Frage, ob mensch sich beleidigt fühlen sollte – könnte doch die Anwendung des Jugendstrafrechts ein Hinweis dafür sein, vom Gericht nicht ganz für voll genommen zu werden.

Prozeß – aber für wen?

"Für wen bereite ich eigentlich den Prozeß vor?" lautete die Frage eines Teilnehmers. Angesichts der völligen Willkür in der Urteilsfindung und angesichts dessen, daß Staatsanwaltschaft und Richter über die Argumentation der Totis nach wie vor einfach hinweg gehen, ist die Frage nicht unberechtigt. "Prozesse dienen im wesentlichen der Öffentlichkeitsarbeit" war die einhellige Meinung der anwesenden "Veteranen".

Haftbefehl

Kurz angesprochen wurde die Gefahr der U-Haft. Dabei wurde festgestellt, daß die "Fluchtgefahr" das hierbei ausschlaggebende Kriterium ist. Allerdings muß beachtet werden, daß "Fluchtgefahr" und "Fahnenflucht" zwei unterschiedliche Fluchtbegriffe sind.

AG Einsteiger

Auch diesmal waren einige junge Menschen da, die sich als Einsteiger für die TKDV interessierten. Leider war die Zeit sehr kurz, der Bedarf und das Interesse aber sehr groß.

Musterungsverweigerung

Heiko Thiele und Frank John begannen ihren Vortrag im Ursumpf der TKDV. Der Weg beginnt mit der Erfassung und geht weiter zur Musterung. Hier hat mensch zum ersten Mal die Möglichkeit, persönlich und aktiv als Totalverweigerer aufzutreten. Schon hier stellen sich viele Fragen, und es gibt eine Menge Möglichkeiten, auf den Verlauf der Musterung Einfluß zu nehmen.

Aber bevor hier eine Entscheidung getroffen wird, sollte mensch für sich klären, wie weit und in welcher Form die gesetzlichen Möglichkeiten und Lücken für sich in Anspruch genommen werden können. Es besteht auch die Möglichkeit, von vornherein jeden Kontakt zu verweigern, was unterschiedliche Reaktionen hervorrufen kann. Es gibt übrigens bei der Kampagne Berlin Antiwehrpflicht-Infos auch zum Bereich Musterung.

Das Umfeld

Abgesehen von den Fragen, die sich zum Wehrpflichtgesetz ergeben, werden einen Menschen, der sich zur TKDV entscheidet, einige sehr persönliche Probleme erwarten. Er wird sich immer wieder damit konfrontiert sehen, daß Freunde und Bekannte sich von ihm abwenden können. Seine Entscheidung wird von ihnen oft nicht nur in Frage gestellt (was mensch von Zeit zu Zeit auch mal selber machen sollte), sondern oft auch nicht toleriert. Der Totalverweigerer muß damit rechnen, daß selbst seine Eltern und der Lebenspartner sich von ihm abwenden können.

Dem steht gegenüber, daß es in Unterstützergruppen nicht zu Kollektivzwang kommen sollte. Wenn der Toti das Gefühl hat und sich dazu entschlossen hat, nicht mehr weiter zu machen, sollte er nicht von den ihn unterstützenden Freunden fallen gelassen werden.

Öffentlichkeit?

Ein weiterer Punkt betraf die Öffentlichkeitsarbeit. Auch hier hat mensch nicht nur Freunde, und es muß damit gerechnet werden, daß nicht nur wohlwollende Berichte über einen erscheinen. Aus Franks Erfahrung ist es aber wichtig, für sich und andere Öffentlichkeit herzustellen, denn hierbei können eine Menge Erfahrungen gesammelt werden. Auch kann in manchen Situationen damit gerechnet werden, daß mensch mit seinem Anliegen nicht allein ist und wahrgenommen wird.

Es tauchte die Frage auf, welchen Weg mensch einschlagen soll oder kann. Welche Möglichkeiten gibt es für den Totalverweigerer bei der Bundeswehr und welche Konsequenzen hat er zu tragen? Hier konnte Heiko aus seiner Erfahrung berichten, ansonsten soll hier nur auf alte Ausgaben der OU verwiesen werden.

Auch auf die Totalverweigerung als anerkannter KDVer wurde kurz eingegangen. Hierbei spielte die Frage eine Rolle, ob mensch sich aus taktischen Gründen eine eigene Zivistelle sucht, die heimatnah ist. Oder ob mensch sich darauf einläßt, den Prozeß an einem weiter entfernten Ort zu haben und damit das Problem der Mobilisierung von Freunden und Presse zu haben.

Angesichts der kurzen Zeit des BuTres kam die AG nicht weiter und viele Fragen blieben offen, die eventuell in der OU beantwortet werden können.

Middach

Nach den AG´s wurde gemiddacht und nachmittags ging es weiter im Programm. Angekündigt war ein Vortrag der baskischen Punk-Band MÜNSTERLAND zur Situation der Totalverweigerer im Baskenland und Spanien. Dies paßte wunderbar, denn dieser Samstag war der 60. Jahrestag der Bombardierung Gernikas durch die deutsche Legion Condor. Ein zusammenfassender Artikel samt Interview findet sich in der Rubrik Intergalaktisches.

Sonntag

Nach dem Frühstück fanden sich die meisten zur abschließenden Kritik am Treffen ein. Die schöne Umgebung wurde gelobt. Positives Echo fand die Prozeß-AG. Auch der Vortrag der Basken fand Anklang. Angemerkt wurde hierzu, daß es klar sei, daß wir in Deutschland nicht allein seien. Man müsse analysieren, warum es in Spanien so viele Totalverweigerer gibt (siehe Intergalaktisches) und hier so wenige.

Ein "Alttoti" meinte, es sei schön gewesen, mal wieder mit Gleichgesinnten bei einem Gläschen Saft Michael Enger zu schauen. Inhaltlich zu arbeiten müsse ja nicht sein, es wäre ja auch so mal ganz nett. Jemand anders merkte an, daß die Berichte aus den Regionen wichtig seien und mensch die Vernetzung aufrecht erhalten müsse.

Ein "Neuer" fand es ganz gut, "mal zu sehen, wie Totis eigentlich aussehen..." und erfahrene Leute befragen zu können. "Ich fand es gut, interessante Leute kennenzulernen, von denen ich sonst nur in der OU gelesen habe..."

Negativ wurde angemerkt, daß ein Nachmittag mit Workshops nicht sonderlich effektiv sei. Einsteigern könne so nicht viel vermittelt werden. Ein Tag mehr wäre gut, evtl. auch mit Pressekonferenz. Das Treffen solle auch wegen der fehlenden Presseberichterstattung nicht auf dem Dorf stattfinden. Auch würden 12 Stunden Autofahrt nicht mehr im Verhältnis zu drei Stunden inhaltlicher Arbeit stehen. Antwort darauf: "Schneller fahren...!" Meisdorf sei so weit ab, aber alle, die hinkommen wollten, hätten ja auch hingefunden. Inhaltlich hätte es wenig neues gegeben.

BuTre ´98

Das nächste Bundestreffen wird vermutlich vom 8.-10.5.98 in Braunschweig oder alternativ in Nürnberg stattfinden.


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