Aus Ausgabe 2-3/97 (September)

Arbeitsdienst wieder salonfähig?

Alljährlich zum Sommerloch drängeln sich die Hinterbänkler der "christlichen" Fraktionen des Bundestages mit dem Thema Allgemeine Dienstpflicht nach vorne. Das rituelle Theater würde bei uns weiter keine Beachtung finden, wenn es nur dort stattfinden würde. Allerdings gesellen sich zunehmend auch "soziale" und "alternative" Politclowns zum Tanz um den AlDi-Vulkan. Ein Zwischenruf von Andreas Schroth.

Diskussionen und Vorschläge zu einer Allgemeinen Dienstpflicht sind so alt, wie die Bundesrepublik selbst. Schon im parlamentarischen Rat, der verfassungsgebenden Versammlung, wurden Möglichkeiten der Aufnahme von Arbeitszwangelementen in das Grundgesetz diskutiert. So formulierte der spätere Bundespräsident Heuss einen Vorschlag den er vage mit "Gemeinwohlinteresse" begründete; damals wurde ihm noch energisch widersprochen. Nicht nur die begriffliche Unschärfe solcher Ansätze, sondern insbesondere die Erfahrungen mit den Zwangsdiensten des damals gerade vergangenen Naziregimes ließen Vertreter aller Parteien solche Ansinnen noch energisch zurück weisen.

Dennoch wurde seitdem in mehr oder minder regelmäßigen Abständen eine Dienstpflicht für junge Frauen und Männer gefordert. Besonders oft vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um eine adäquate Wehrform werden Vorschläge zur Ausweitung des Zwangsdienstes Wehrpflicht gemacht bzw. wird die Alternative eines ‘soziales Jahres’ gefordert, wenn verstärkt, wie seit Beginn der 90er Jahre die Forderung nach Ersetzung der Wehrpflicht durch eine Berufsarmee erhoben wird.

Die in solcherlei Debatten auftauchenden Vorschläge und Vorstellungen zu einer allgemeinen Dienstpflicht sind meistens durch ihre Unklarheit gekennzeichnet und werden im allgemeinen von den verschiedensten Hoffnungen getragen, etwa derart, so ließe sich eine orientierungslose Jugend wieder an Dinge wie Gemeinwohlempfinden heranführen.

Sämtliche Vorschläge sind jedoch von der Überzeugung bestimmt, ausschließlich Jugendliche und junge Erwachsene sollten dieses ‘soziale Jahr’ verrichten, die gesellschaftliche Gruppe also, die noch nicht wahlentscheidend auf Politik Einfluß nimmt. Die zu tragende Last würde, wie bereits im Falle der Wehrpflicht, einer relativ kleinen Gruppe, die als Erst-, Nicht- oder Noch-Nicht-Wähler nicht allzu sehr ins Gewicht fällt, aufgebürdet. Diese spielt im politisch-taktischen Kalkül die Rolle einer vernachlässigbaren Minderheit, macht diese also besonders attraktiv für die Heranziehung zu Diensten, die ökonomisch als Naturalsteuer gewertet werden müssen.

Die Allgemeine Dienstpflicht ist sowohl historisch betrachtet, als auch unter den gegenwärtigen rechtlichen und arbeitsmarktpolitischen Bedingungen grundsätzlich abzulehnen: Die allgemeine Dienstpflicht hat ihren Ursprung im Krieg und bei der Kriegsvorbereitung. Hier funktioniert sie als Mittel der totalen Militarisierung der Gesellschaft.

Dienstverpflichtungen und Zwangsarbeitsmaßnahmen waren in diesem Jahrhundert im Deutschen Kaiserreich Ausdruck der Möglichkeit des Staates in Kriegs- und Krisensituationen Rekrutierungsmöglichkeiten von Massen zu den bereits bestehenden Wehrpflichtsystemen zur Verfügung zu haben. Der Erste Weltkrieg ist dabei Ausdruck des modernen, industrialisierten Krieges, der den totalen Einsatz von Menschen und Material notwendig macht. Deshalb wurde der "Vaterländische Hilfsdienst" eingeführt. Viele nach dem Krieg vorgetragenen Dienstideen orientierten sich an diesem Dienst, der zur Durchführung des sog. Hindenburgprogrammes gedacht war.

Dabei kamen die entsprechenden Forderungen sowohl aus rechtsnationalistischen Kreisen wie dem "Stahlhelm", der größten Vereinigung ehemaliger Frontkämpfer, als auch aus dem gewerkschaftlich geprägten katholischen Milieu oder von kommunalen Trägern, wie etwa dem Augsburger Stadtrat, der 1923 vorschlug, junge Erwerbslose zu einem "gemeinnützigen Arbeitsdienst" heranzuziehen.

Die Erfahrungen aus dem "Vaterländischen Hilfsdienst" wurden schließlich von den zuständigen Stellen des NS-Regimes ausgewertet, welche im Aufbau des Arbeitsdienstes angewendet wurden. Dienstpflicht, Wehrpflicht und schließlich die Zwangsarbeit für aus den besetzten Gebieten verschleppte Arbeitssklaven bildeten ein Trias, die der totalitäre Staat zur Führung des totalen Krieges benötigte. In keinem Zusammenhang war der Dienstpflicht seitdem ein vergleichbarer "Erfolg" beschieden, da der westdeutsche Verfassungsstaat eben diese Erfahrungen in die Verfassungsgesetzgebung einfließen ließ und das Verbot der Zwangsarbeit zum integralen Bestandteil des Grundrechtskatalogs machte.

Eine allgemeine Dienstpflicht verletzt Grundsätze nationalen und internationalen Rechtes sowie Übereinkommen.

Artikel 12 GG Abs. 2 verbietet Arbeitszwang. In keinem Staat der Welt außer in Nigeria, dort heißt das ganze 'national service', gibt es eine für alle Frauen und Männer verbindliche Pflicht, eine bestimmte Zeit ihres Lebens Zwangsarbeit zu verrichten. Im Gegenteil, nicht nur demokratische Verfassungssysteme sondern auch internationale Übereinkommen, wie das Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) verbieten Zwangsarbeit und damit Pflichtdienste.

Im internationalen Vergleich werden jedoch wesentlich mehr Dienstformen unter ‘national service‘ subsumiert als sie ein solch enger Begriff von der allgemeinen Dienstpflicht zuläßt. So ist auch in Deutschland der Kriegsdienst vom Zwangsdienstverbot des GG ausdrücklich ausgenommen und das im Falle eines Notstands-, Spannungs--, oder Verteidigungsfalles geltende Arbeitssicherstellungsgesetz läßt Formen der Dienstverpflichtung von Männern und Frauen zu.

Bereits 1991 wurde dies in einem Gutachten für das Präsidium des deutschen Bundestages ausdrücklich festgestellt – die Einführung einer Dienstpflicht in Friedenszeiten allerdings ist ohne Änderung des Grundgesetzes nicht möglich, darüber hinaus wäre die Bundesrepublik auf internationaler Ebene dann mit einem erheblichen Ansehensverlust konfrontiert.

Ökonomisch gesehen ist die Allgemeine Dienstpflicht Unsinn

Mit einer zwangsweisen Verpflichtung von Arbeitskräften zu Tätigkeiten, für die diese nicht ausgebildet, sind fallen volkswirtschaftlich mehr Kosten an, als dem Staat dadurch Gewinne entstehen. Ausgerechnet ein Volkswirt der Hochschule der Bundeswehr, Hamburg, hob dies in einer Modellrechnung im letzten Herbst deutlich hervor. Dem Gewinn durch billige Arbeitskräfte steht so der Verlust des Steuer-aufkommens, das von den Zwangsdienstleistenden im entsprechenden Zeitraum nicht gezahlt wird.

Ob es um den europaweiten Arbeitskräftemangel bei öffentlichen und sozialen Dienstleistungen geht, die Erziehung einer perspektivlosen Generation von jugendlichen Arbeitslosen oder die Hinführung auf republikanische Werte, wie dies etwa der Rechtsprofessorin Sybille Tönnies vorschwebt, in allen wird nicht nur von der Möglichkeit zur Zwangsverpflichtung und damit Nutzbarmachung ihrer Arbeitskraft, sondern ebenso von einer Zwangsvermittlung von Werten und gesellschaftspolitisch angeblich verbindlichen Prinzipien ausgegangen. Verglichen mit den heutigen Forderungen waren Politiker vor beinahe 50 Jahren schon weiter – eine "Trägheit und Bequemlichkeit des Regierens" sollte ausgeschlossen werden, "wie sie unter dem Naziregime in Übung gewesen war, wo man, wenn eine Schwierigkeit auftauchte, sich mit Zwangsmitteln behalf", so stellte es der Abgeordnete von Mangoldt 1948 für die CDU im parlamentarischen Rat fest.

Heutige Diskussionen um eine allgemeine Dienstpflicht sind nicht nur überflüssig und gehen am Kern der Probleme, die eigentlich gelöst werden sollen, vorbei, sondern sie lassen auch allzuoft einen allzu leichtfertigen Umgang mit den grundlegenden Prinzipien einer demokratischen und offenen Gesellschaft erkennen.

[Bereits am 19.11.94 organisierte die Bremer Zentralstelle KDV in Bonn eine "Fachtagung Allgemeine Dienstpflicht – Falsche Antwort auf richtige Fragen". Ein ausführlicher Bericht dazu findet sich in OU 6/94-1/95 oder im Internet unter http://www.ohne-uns.de/94_6_95_1/ftagaldi.html]


Die Weitergabe der Texte ist unter Hinweis auf die Quelle OHNE UNS und gegen Belegexemplar erwünscht.

Zur Übersicht