Aus Ausgabe 6/95-1/96 (Winter)

"Das Gefühl von Schmerz und Freude teilen ..."

Auf dem ECOM 1995 waren auch zwei Eltern eines spanischen Totalverweigerers (Insumisio), die selbständig in einer Elterngruppe der MOC (Movimiento de Objecion de Conciencia) arbeiten. Mit Mina Elias Martfnez (Lehrerin) und Manolo Collado Broncano (Uni-Professor) sprach am 30. August Detlev Beutner für die OHNE UNS.

OU: Seit wann und wie kamt Ihr dazu, in der antimilitaristischen Bewegung aktiv zu werden?

Mina: Die sozialen Probleme nehmen immer mehr zu und bedürfen politischer Lösungen. Wir waren deshalb schon immer in verschiedenen sozialen Bewegungen engagiert. Dabei haben wir viele Leute aus der ökologischen und pazifistischen Bewegung kennengelernt. Wir erkannten, daß diese Bewegungen sehr viel mehr veränderten als die Gruppen, die wir bisher kannten, wie Gewerkschaften oder politische Parteien.

Manolo: Wir haben uns für Gerechtigkeit, Verständigung, wirkliche Demokratie und Solidarität eingesetzt. Dabei haben wir entdeckt, daß die hierarchischen Strukturen des Militärs bei all diesen Punkten eine entscheidende behindernde Rolle spielen. All dies verschärfte sich schlagartig, als unser Sohn in der MOC aktiv wurde. Später kam hinzu, daß einer meiner Studenten ins Gefängnis mußte. Unser eigener Sohn hatte verweigert, kurz bevor eine Amnestie für die Insumisios erlassen worden war, so daß er nicht in den Knast mußte.

OU: Wie habt Ihr darauf reagiert, daß Euer Sohn total verweigert hat?

Mina: Wir haben uns zunächst gefreut, daß er in einer pazifistischen Gruppe mitgearbeitet hat. Als wir dann mitbekamen, daß es um Totalverweigerung ging, hatten wir aber Angst vor dem, was passieren könnte.

Manolo: Ich habe meinem Sohn als erstes gesagt, daß das eine völlig unsolidarische Einstellung sei, eine soziale Arbeit innerhalb des Zivildienstes zu verweigern. Ich habe meine Meinung dann geändert, als ich mitbekam, worum es im Zivildienst eigentlich geht: billige Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben, die reguläre Arbeitsplätze zerstören. Was mich aber am meisten beeindruckte, war, daß die Insumisios, die von weiten Teilen der Gesellschaft als die unsolidarischsten Menschen überhaupt dargestellt werden, in Wirklichkeit die solidarischsten Menschen waren, die ich kennengelernt habe.

Meine Studenten, die total verweigert hatten, machten alles mögliche an freiwilligem Engagement und halfen vielen Menschen, die diese Hilfe brauchten. Genauso engagierte sich unser Sohn in der MOC auf freiwilliger Basis. Das ist für mich heute allerdings nicht mehr der ausschlaggebende Punkt: Selbst wenn diese Menschen nicht auffällig viel freiwilliges Engagement gezeigt hätten, hätten sie mit ihrer Insumision richtig gehandelt. Und jede Sanktion gegenüber einem Insumisio ist ungerecht, unabhängig davon, was diese Menschen sonst in ihrem Leben machen.

Mina: Unser Sohn brachte alle vernünftigen Erklärungen für seine Totalverweigerung, aber ich konnte das zunächst nicht verstehen. Ich sah darin nur eine sehr gefährliche Aktion, die keinen spürbaren Erfolg haben und der sich auch nur eine relative Minderheit anschließen würde, die sich das zutraute. Ich war immer auf der Seite meines Sohnes, obwohl ich dachte, daß dies der falsche Weg sei. Mit der Zeit entdeckte ich aber, daß diese Einstellung lediglich ein Produkt meiner Angst war, und daß diejenige, die die Sache falsch gesehen hatte, ich war.

Ich habe dann viel über das Thema diskutiert, habe Prozesse beobachtet und an Demonstrationen teilgenommen, so daß ich immer tiefer in diese Bewegung selbst hineinkam. Mit der Zeit fand ich meine eigene Position innerhalb dieser gewaltfreien Bewegung. Zunächst war ich "nur" die Mutter eines Insumisios, später ging ich selbst dazu über, Kriegssteuern zu verweigern. Ich wurde in vielen Bereichen aktiv und definierte mich nicht mehr nur über meinen Sohn.

OU: Was sind Eure Aktivitäten innerhalb der Gruppe der Eltern von Insumisios?

Manolo: Nachdem sich die Geschichte um unseren eigenen Sohn aufgrund der Amnestie soweit erledigt hatte, sollte Frasco, der Student, den ich schon erwähnt habe, inhaftiert werden. Es gab viel Öffentlichkeit in dieser Sache, und es war eine der ersten Aktionen der Elterngruppe, an der wir teilgenommen haben. Die Idee war, Frascos Eltern zu besuchen, die nicht hinter ihrem Sohn gestanden haben, wie das auch in der Mehrzahl der Insumisios der Fall ist. Wir dachten, wir sollten diese Eltern besuchen, die die gleichen Probleme haben, wie wir sie hatten, um gemeinsam über diese Sache nachzudenken und die Eltern zu begleiten. Wir wollten dieses Gefühl von Schmerz und Freude mit ihnen teilen: Den Schmerz, den eigenen Sohn vielleicht im Gefängnis sehen zu müssen, die Freude, einen Sohn zu haben, der diesen geradlinigen Schritt zu gehen bereit ist.

Mina: Was wir oft machen, ist, Elterntage zu besuchen. In Spanien werden auf Elterntagen oft Leute eingeladen, die über spezielle Dinge in der Erziehung oder ähnliches sprechen. Und so gehen wir auf Elterntage und sprechen über das, was sich der Schule vielleicht anschließt, nämlich die Insumision der Söhne. Es ist in Spanien so "normal", total zu verweigern, daß alle Eltern Grund haben, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Manolo: Es gab da mal einen sehr interessanten Fall: Wir waren auf einem Elterntag an einer höheren Schule, um über legale Kriegsdienstverweigerung und Insumision zu sprechen. Frascos Eltern waren inzwischen selbst aktiv geworden und mit uns zusammen dort hingegangen. Es war von Anfang an eine gewisse Spannung vorhanden, da einige Eltern auf diesem Treffen selbst Militärs waren und das Treffen verlassen wollten. Sie fanden, daß das eine Provokation ihnen gegenüber war. Wir erklärten, daß es in verschiedenen Institutionen gute, mittelmäßige und schlechte Menschen gibt, sowohl in der Armee, als auch in der Schule, dem Krankenhaus oder der Polizei. Der Unterschied liegt in der Rolle, dem Ziel der jeweiligen Institution - wir sind gegen die Polizei, aber nicht gegen jeden einzelnen Polizisten. Also ist die Institution schlecht, nicht jeder, der in ihr mitwirkt.

Nachdem wir das erklärt hatten, blieben die Eltern, die selbst Militärs waren, und es entwickelte sich ein sehr interessantes Gespräch.

Mina: Wir machen ansonsten viel Öffentlichkeitsarbeit, organisieren Radiosendungen, Presseberichte, machen Demonstrationen, sammeln Unterschriften und so weiter. Wir denken, daß es sehr wichtig ist, daß Antimilitarismus viele Leute betrifft, nicht nur die 18- bis 20-jährigen, die gerade von dieser Frage berührt sind. Wir machen also viele Sachen, die die jungen Leute in der MOC auch selbst machen, aber wir tun das als eigenständige Gruppe. Für mich ist es dabei auch wichtig, als Frau eine eigene Rolle zu spielen, auch als Mutter, aber nicht nur. Von der Wehrpflicht sind nur Männer unmittelbar betroffen, aber das Problem, was dahintersteckt, geht uns alle an, als Frauen genausogut wie als Männer.

OU: Steckt hinter der erfolgreichen Arbeit der gesamten Bewegung ein bestimmtes Konzept?

Mina: Unser Konzept ist, eigenständig zu sein. Wir haben nie eine andere Bewegung kopiert, wir haben nie eine andere Kampagne für uns übernommen. Ich denke deshalb, daß das Modell der spanischen Bewegung auch nirgendwo andershin übertragen werden kann. Überall müssen die Menschen mit ihren jeweiligen besonderen Situationen und ihren eigenen Gedanken dazu umgehen. Für uns ist es wichtig, nicht für eine bessere gesetzliche Situation zu kämpfen. Wir gehen zwar vor die Gerichte, aber wir legen keine Berufung ein. Wir betrachten die Insumision nicht als Verbrechen. Wenn das Gericht uns ruft, gehen wir hin und erklären den Hintergrund. Aber wir sehen nicht ein, das zweimal zu machen. Wenn wir das einmal gemacht haben, soll das Gericht damit umgehen, wir haben dann unseren Teil in der Sache erledigt.

OU: Wie sehen momentan die Planungen der Regierung gegenüber Totalverweigerern aus und wie wollt Ihr in der Zukunft weitermachen?

Mina: Die Regierung versucht zur Zeit, daß Image des Zivildienstes aufzubessern. Beispielsweise wurden Zivildienstleistende nach Bosnien geschickt, um zu sagen: Seht Euche diese solidarischen Menschen an, die machen ihren Zivildienst in Kriegsgebieten, weil sie keine Drückeberger sind; das sind wundervolle Leute, die einen notwendigen sozialen Job erledigen. Wer dagegen totalverweigert, muß dementsprechend sehr unsozial sein. Die Zivis, die dort hingeschickt wurden, hatten schließlich das gleiche Ansehen wie das spanische Militär: Beide wurden "für den Frieden" eingesetzt, arbeiteten zusammen, verstanden sich prima und spielten zusammen Fußball! Einige kamen allerdings mit einem ganz anderen Bild zurück: Es gäbe nichts, was sie dort eigentlich tun könnten, sie sprechen nicht die Sprache, sind nicht medizinisch ausgebildet oder wirklich auf den Einsatz vorbereitet. Alles, was sie dort getan haben, war, herumzusitzen und Karten zu spielen - und das Bild des Zivildienstes in Spanien aufzuwerten, indem Fußballspiele mit den Soldaten in den Zeitungen dokumentiert wurden!

Manolo: Zur Zeit ist daneben ein neues Strafgesetzbuch in Planung. Danach sollen sich die Strafen gegen Insumisios ändern: Die Regierung ist sehr daran interessiert, keine Insumisios mehr in den Gefängnissen zu haben, da das doch oft als Skandal in dieser ach-so-demokratischen Gesellschaft aufgefaßt wird. Es soll differenziertere Strafen geben: Für diejenigen, die während des Militärdienstes totalverweigern, für diejenigen, die vor dem Militärdienst ihre Totalverweigerung erklären, und schließlich für diejenigen, die innerhalb des Zivildienstes nach Anerkennung als legale "KDVer" totalverweigern. Nur die erste Gruppe soll in der Zukunft noch mit Gefängnisstrafen verfolgt werden. Also planen wir, daß die Insumisios einen Tag beim Militär sind, um dann dort ihre Verweigerung zu erklären.

Für die beiden anderen Gruppen ist nach dem neuen Strafgesetzbuch der "zivile Tod" vorgesehen: Du verlierst Deine bürgerlichen Rechte, bekommst keine Kredite mehr, kein BAFöG und so weiter. Und das ganze für eine "sehr kurze Zeit": für 15 Jahre! Die Rechtfertigung lautet, wer den Staat nicht anerkennt, muß nicht selbst vom Staat anerkannt werden. So werden wir eben versuchen, diese neue Regelung zu umgehen, indem die Insumisios erst beim Militär auftauchen, um dann wieder unter die Knast-Regelung des Staates zu fallen. Ein eingesperrter Insumisio ist in der Öffentlichkeit doch sehr viel deutlicher wahrnehmbar als jemand, der für 15 Jahre seine bürgerlichen Rechte verloren hat ...

Interview: Detlev Beutner; Übersetzung: Yolanda Juarros Barcenilla/Detlev Beutner


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