Aus Ausgabe 3-4/95 (Herbst)

15. Mai: Empfang im Bundestag

Aus Anlaß des Internationalen Tags der Kriegsdienstverweigerung, dem 15. Mai, gab die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages - zum zweiten Mal nach 1991 -, Antje Vollmer (Bündnis90/Die Grünen) einen Empfang. Wie in der politischen Klasse üblich, überholten sich die Beteiligten im Streit um die Veranstaltung gegenseitig rechts.

Als Leitthema war "Asyl für Kriegsdienstverweigerer" ausgegeben. Ein Motto, welches die Gefahr mit sich bringt, als Alibi für die deutsche Situation funktionalisiert zu werden, weil es ja so viele böse andere Länder gibt, auf die sich so gut mit dem Finger zeigen läßt - was zwar zunächst richtig ist, aber nicht von den (erheblich existierenden) Problemen im eigenen Land ablenken sollte.

Die Gast-Beiträge von Osman Murat Ülke (Verein der KriegsgegnerInnen Izmir), Milan Sadzak (Deserteur Sarajveo) und Herbert Leuninger (Pro Asyl) zeigten auch, zum Teil sehr anschaulich, die KDV-Problematik in verschiedenen Regionen der Welt sowie den problematischen Umgang aus Deutschland hiermit auf. Doch die Kritik am eigenen System ging dabei eben nicht an die Wurzeln:

So meinte Herbert Leuninger, daß "die Anerkennung der Verweigerung des Kriegsdienstes (sic!) eine der bedeutenden Konsequenzen ist, die das demokratische Deutschland (sic!) aus der Nazi-Diktatur gezogen hat." Der überzeugte KDVer und Deserteur sei damit kein 'Feigling' mehr, sondern ein Mensch, "der dem Frieden dient." Offensichtlich also auch den Zivi im Kopf, sprach Leuninger weiter: "Dies gilt für den, der sich grundsätzlich und aus šberzeugung heraus jedem Kriegsdienst (sic!) verweigert oder entzieht." Schön wär's.

Antje Vollmer erklärte: "Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist in Deutschland ein Grundrecht, in anderen Ländern nicht." Und daher wollte sie "für den Zivildienst und insgesamt für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung danken."

Hieran entbrannte sich Kritik. Nicht etwa, daß TeilnehmerInnen darauf hingewiesen hätten, daß in der BRD nur ein kastriertes Waffendienstverweigerungsrecht mit antisozialem Ersatzdienstzwang existiert - nein, der sicherheitspolitische Sprecher der F.D.P.-Fraktion, Günther Nolting, hatte die Veranstaltung als "ungerechtfertigte Diskriminierung" jener Bürger bezeichnet, die Wehrdienst leisteten. Die Kriegsexperten von SPD und CDU, Walter Kolbow und Paul Breuer, waren sich gar einig, daß das deutsche 'KDV'-Recht ein Ausnahmerecht sei, bei dem es nichts zu feiern gebe.

Fazit: Es gibt an Meinungsbildung und Aufklärung bezüglich der Reichweite des bundesdeutschen KDV-Unrechts noch viel zu tun. Und: Die Veranstaltung wurde von Connection e.V. (ein Ableger der "AG KDV im Krieg") und der Zentralstelle KDV unterstützt. Beide sollten sich überlegen, ob es sinnvoll ist, bei solchen Anlässen aus opportunistischen Gründen auf grundlegende Kritik am eigenen System zu verzichten. (db)


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