Aus Ausgabe 5/95 (Herbst)

Wehrzwang - Gewalt gegen Männer

Der folgende Text von Gabriele Kleb-Braun ist zwar schon einige Jahre alt, hat aber nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt. Die Autorin ist Richterin in Münster und hat sich aus ihrer Sicht mit dem Zwang zum Kriegsdienst auseinandergesetzt. (Red.)

Als Kind wurde ich zum ersten Mal damit konfrontiert, daß die Menschheit in Soldaten und Zivilisten geteilt sein soll. Wenn Männer über das Dritte Reich und den Krieg sprachen, verschwiegen sie spürbar mehr, als sie mir verrieten. Irgendwann sagte dann meist jemand in sicherer Empörung: "Aber Dresden war ein Verbrechen. Hunderttausend Zivilisten, Frauen und Kinder, einfach verbrannt." Ich fragte damals: "Was war denn daran so besonders schlimm, der Krieg ist doch dazu da, daß Menschen umgebracht werden?" Man antwortete mir, Zivilisten zu töten, sei etwas ganz anderes, als Soldaten zu töten. Um das zu begreifen, sei ich aber noch zu klein.

Mir wurde auch beigebracht, daß ein Mörder sei, wer tötet. Ich rechnete nach und kam zu dem Schluß, daß dann viele der netten Onkel, die ich kannte, auch Mörder sein müßten und meinte, dann könne Mord doch eigentlich kein so fürchterliches Verbrechen sein. "Im Krieg ist das was anderes," bekam ich zur Antwort, "das verstehst Du noch nicht." Ich verstehe es bis heute nicht.

Die ungelöste Frage schwelte weiter, trat aber in den Hintergrund. Als ich ins wehrfähige Alter kam, war ich froh, kein Mann zu sein. Die Schauergeschichten von Befehl und Gehorsam in der Kaserne hörte ich mit einer Mischung aus Entsetzen und wohligem Gruseln. Unterhosen DIN A4 - förmig zu falten, erschien mir in höchstem Maße lächerlich. Immer unverständlich blieb mir, wieso ansonsten eher großspurige Altersgenossen es als normal empfanden, in dieser Weise herumkommandiert zu werden.

Wieder einige Jahre später stieß ich erneut auf die alte Frage. Ein junger Kriegsdienstverweigerer: "Warum müssen wir eigentlich unser Gewissen beweisen?" Warum muß nicht der Staat beweisen, daß richtig ist, was er von uns verlangt? Die wortreiche Antwort des Jugendoffiziers war natürlich keine.

Da ich inzwischen Juristin war, tat ich das Naheliegende und suchte unsere Rechtsordnung nach einer plausiblen Lösung ab. Ich fand auch hier den Widerspruch zwischen Militarismus und Menschenrecht - und die stillschweigende Übereinkunft von Rechtsprechung und Lehre, diesen Widerspruch als nicht existent zu betrachten: "Es erscheint geradezu als selbstverständlich, daß der Soldat in bewaffneten Konflikten Opfer an Leib und Leben zu erbringen hat", heißt es im wehrrechtlichen Schrifttum. Und das Bundesverfassungsgericht teilte zur Rechtfertigung des Wehrzwangs 1960 nur lapidar mit, Militärdienst zu tun, werde von fast allen anderen demokratischen Staaten auch "seit langem als eine selbstverständliche Pflicht des (männlichen) Staatsbürgers angesehen".

"Eine Pflicht zumal", fährt das Bundesverfassungsgericht fort, "in der ideelle Grundprinzipien gerade eines demokratischen Gemeinwesens - die Zugehörigkeit zu einem allen gemeinsamen, nicht mehr obrigkeitlichen Staat, der Grundsatz der gleichen Lasten für alle - sich besonders deutlich aussprechen". Wunderschön gesagt. Und so überzeugend. Nicht wahr ist, daß totalitäre Staaten und Militärdiktaturen die Befürworter des Wehrzwangs demokratischer Umtriebe wegen verfolgen.

[Es muß die] Frage gestellt werden, wie "selbstverständlich" die Verfügbarkeit von Menschen für militärische Zwecke in einer Demokratie eigentlich sein kann und warum wir, auch Mitglieder der Friedensbewegung, ganz "selbstverständlich" von Soldaten und Zivilisten sprechen wie von Äpfeln und Birnen.

Denn Männer werden doch nicht als Soldaten geboren, sondern sie werden dazu gemacht. Schon im Zeitpunkt ihrer Geburt sind sie als Soldaten verplant. Sie werden auf das militärische Prinzip von Befehl und Gehorsam von Kindesbeinen an vorbereitet, als Heranwachsende durch die Ausbildung zum Töten auf das Gewaltprinzip eingeschworen und dadurch in ihrer Menschlichkeit seelisch vergewaltigt.

Sie lernen, daß der Staat ihr Leben für Kriegszwecke beschlagnahmen und militärischen Interessen opfern kann. Sie lernen, daß Männer, die nicht töten wollen, "Verräter" genannt werden dürfen, und Männer, die nicht sterben wollen "Feiglinge" oder "Drückeberger". Von meinem Vater weiß ich, daß in den letzten Kriegstagen männliche Leichen an den Bäumen hingen, um den Hals ein Schild mit der Aufschrift: "Ich war ein Feigling". Ihr Verbrechen war, daß sie leben wollten.

Und heute?

Das geltende Wehrstrafgesetzbuch z.B. enthält folgende Bestimmung: "Furcht vor persönlicher Gefahr entschuldigt die Tat nicht, wenn die soldatische Pflicht verlangt, die Gefahr zu bestehen" ( 6). Kann es wirklich strafbar sein, ein Mensch zu sein? Jedem Tier gesteht man zu, daß es um sein Leben rennt. Beim Militär heißt das "Fahnenflucht" und ist Menschen, die man in "Soldaten" umbenannt hat, bei Strafe verboten, weil es "die Schlagkraft der Truppe" ( 2 Nr.3 WStG) schwächt.

Warum lassen Männer sich das gefallen?

Gegen die Volkszählung regte sich landesweit heftiger Widerstand, aber ihre datenmäßige Erfassung als Wehrpflichtige und die mindestens bis zum 32. Lebensjahr dauernde Plage der Wehrüberwachung nehmen Männer hin wie naturgegeben. Sie lassen sich auf ihre "Verwendungsfähigkeit" für militärische, also potentiell existenzvernichtende Zwecke sogar körperlich mustern, ohne gegen diese menschenunwürdige Prozedur aufzubegehren. "Mit Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren", sagt das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zum Datenschutz, "wenn der Staat des Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und katalogisieren, sei es auch in der Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist".

Warum also lassen sich Männer nicht nur widerspruchslos zum total verfügbaren Objekt staatlichen Handelns degradieren, sondern verteidigen sogar noch die Ideologie, die sie zu Menschen zweiter Klasse macht?

[...] Grund dafür ist eine über Jahrtausende wirksame Gehirnwäsche, deren Wirkungsweise jemand, der sehr viel von diesen Dingen verstand, einmal so beschrieb: "Das Geheimnis der Propaganda: den, den die Propaganda fassen will, ganz mit den Ideen der Propaganda zu durchtränken, ohne daß er überhaupt merkt, daß er durchtränkt wird."

Dieses Goebbels-Wort beschreibt exakt unser Problem, nämlich eine Art geistige Immunschwäche gegen die "Selbstverständlichkeiten" eines militaristischen Welt- und Menschenbildes. Krieg und Kriegsausbildung verneinen das Prinzip Leben und sind deshalb nicht "demokratische Normalität", wie das Bundesverfassungsgericht die Erfüllung der "Wehrpflicht" nennt, sondern krank.

Aber das Grundübel, die Instrumentalisierung des Menschen für militärische Zwecke, währt schon so lange, daß wir sie quasi als natürlich empfinden. Fragen wir uns doch ehrlich: Sind wir nicht über den Tod von Zivilisten spontan erschütterter als über den Tod von Soldaten? Und warum wohl fühlen sich die Befürworter von Denkmälern für Deserteure des 2. Weltkriegs dazu aufgerufen, zu betonen, in den meisten Fällen habe nicht etwa Todesfurcht, sondern der Wille, nicht mitschuldig zu werden, zur Flucht geführt?

Militarisiertes Denken

Nicht erst der Krieg, schon militarisiertes Denken und die darauf gegründeten Kriegsvorkehrungen zerstören die geistig-sittliche Integrität von Menschen und hindern deshalb die Entstehung einer menschengerechten Sozialordnung. Dies wird offenkundig, sobald man dem klebrigen Pathos, mit dem Politiker und Gerichte das sog. "Institut der allgemeinen Wehrpflicht" zur "Wertentscheidung von Verfassungsrang" hochjubeln und so jeder Kritik zu entrücken suchen, Fakten gegenüberstellt, die zeigen, was der Wehrzwang mit und aus Menschen macht.

Mein Mann z.B., der nicht zur Gewalt neigt, dachte sich als 19jähriger während seiner Bundeswehrzeit in einem Manöverspiel eine sog. "Kriegslist" aus, die einen ganzen Zug "Feindlicher Soldaten", also etwa 40-50 Menschen, in einen verminten Graben lockte mit der Folge, daß ein Knopfdruck reichte, alle gleichzeitig zu "töten". Er wurde belobigt und mit drei Tagen Sonderurlaub belohnt. Er empfand damals ein Gefühl des Stolzes auf diesen Einfall. Diese Art von Stolz ist keinem Menschen angeboren. Was muß mit ihnen passieren, damit sie soweit kommen?

Selektionsmaßnahmen

[...] Die Einberufung zum Kriegsdienst ist eine Selektionsmaßnahme, die Männer aus der Gemeinschaft der Bürger ausgrenzt mit der Folge, daß ihr Leben - so ausdrücklich das VG Münster in seinem Urteil vom 5.Juli 1988 -"dem Wert des Lebens der anderen in Freiheit und Menschenwürde nachgeordnet wird". Als Angehörige der aktiven Streitkräfte sind sie militärischer Befehlsgewalt unterworfen und erhalten kriegsrechtlich den Status "rechtmäßiger Kombattanten", d. h. sie gelten als berechtigt, unter Beachtung der "Gesetze und Gebräuche des Krieges", das personale und materielle Potential des Feindstaates zu vernichten.

Diese Ermächtigung beschreibt zugleich die tatsächlichen und rechtlichen Nachteile, die dem Kombattantenstatus anhaften. Deren wichtigster ist der Verlust der Rechtsstellung als "Zivilist". [...] Kombattanten [...] sind "militärische Angriffsziele", deren Vernichtung sogar ohne Rücksicht auf die Legalität oder Illegalität der Kriegseröffnung gleichmäßig für alle an der Kriegführung beteiligten Staaten und deren Einzelpersonen als rechtmäßig angesehen wird. Die Regeln des Kriegsvölkerrechts bestimmen darüber hinaus, daß jeder Staat seine Kombattanten durch Uniform oder auf andere Weise, z.B. mittels angenähter Armbinde, zuverlässig kennzeichnen muß. Auf diese Weise tun die Staaten einander kund, welche Bürger sie zum Abschuß freigeben. Soldaten sind kriegsrechtlich Vernichtungsziele.

Fürchten verboten

[... Hier] stellt sich natürlich die heikle Frage: Wie zwinge ich Menschen zur Überwindung von Todesangst? Was fürchten sie mehr als den möglichen Tod? Da bleibt nur der sichere Tod aus der Hand des Kriegsgerichts.

An dieser Stelle empören sich regelmäßig Juristen und wenden ein, die Todesstrafe sei abgeschafft und kein Gesetzentwurf sähe sie vor, folglich sei es unzulässig, damit zu argumentieren. In einem Punkt haben sie recht: nirgendwo steht geschrieben, daß im Kriegsfall die Todesstrafe wieder eingeführt wird. [Allerdings hat Rupert Scholz im offiziellen Grundrechtskommentar die Abschaffung der Todesstrafe nur auf Friedenszeiten bezogen. rs]

Aber es steht auch nirgendwo geschrieben, daß Küstengebiete bei Hochwasser überflutet werden. Es passiert einfach, und deshalb bauen wir auch ohne gesetzliche Gezeitenregelung Deiche. Man muß kein gelernter Psychologe sein, um zu vermuten, daß diese Realität des Kriegsdienstes schon heute wirkt, wenn auch verdrängt im Unterbewußten. Junge Wehrpflichtige erhalten Unterricht über die Regeln des Kriegsrechts und verfügen damit über alle Informationen, aus denen die hier gezogenen Schlußfolgerungen abgeleitet sind. Aber wer erträgt schon den Gedanken, für die Gemeinschaft, in der er lebt, im Zweifel entbehrlich zu sein und von ihr mitleidlos geopfert zu werden?

Meine Söhne geb' ich nicht?

Wir haben zwar einen hübschen Schlager mit dem Titel "Meine Söhne geb' ich nicht" - aber wer kämpft denn wirklich für sie? Man gab sie immer, und wir lassen sie heute noch gehen. Die Mütter jammern ein bißchen, die Väter sagen "Tu Deine Pflicht", aber keiner sagt, dafür ist mir mein Kind zu schade. Es wird viel geredet vom Schutz der Allgemeinheit und von der "staatlichen Gemeinschaft" - aber sind wir überhaupt eine Gemeinschaft? Wir wollen, wenn wir alle in Bedrängnis geraten, nicht etwa näher zusammenrücken, sagen nicht: wir werden es gemeinsam durchstehen, Hauptsache, wir bleiben am Leben und zusammen, wir lassen uns nicht auseinanderbringen und opfern keinen aus unserer Mitte, sondern wir fangen an, Männer "Soldaten" zu nennen, kleiden sie via Uniform als Vernichtungsziele ein und stoßen sie damit aus der mitmenschlichen Gemeinschaft aus.

Die latente Bereitschaft, dies zu tun, ist in unserer Gesellschaft real vorhanden, und ich bin davon überzeugt, daß sie sich Männern zumindest unterschwellig mitteilt. Es fängt schon damit an, daß kleine Jungen ihre Eltern fragen, ob sie einmal Soldat werden müssen - und diese sagen nicht nachdrücklich und eindeutig "nein". Für mich fängt da der Aussonderungsprozeß, daß Im-Stich-Lassen schon an. [...] Die soldatischen "Mannestugenden" gelten nicht nur beim Militär, sondern sind auf nahezu unauflösliche Weise mit der sozialen Identitätsbildung von Männer verwoben.

Im Ergebnis glaube ich deshalb, daß es für Männer sehr viel schwieriger ist als für Frauen, den Kampf um ihr Mensch-Sein aufzunehmen. Sie werden nämlich durch das militärische Prinzip von Befehl und Gehorsam nicht nur auf die existentielle Ohnmacht der Opferrolle eingeschworen, sondern darüber hinaus auch aktiv an das Gewaltprinzip gewöhnt. Damit komme ich zum Grundwehrdienst.

Die militärische Ausbildung zwingt Männer nämlich, Handlungsfertigkeiten zu erwerben, die nach den Grundwertentscheidungen unserer Rechtsordnung (auch) auf Mord oder Totschlag hinauslaufen. Soldaten werden nicht nur zum Töten von individualisierbaren Angreifern in akuten Notwehrsituationen, nicht nur zum Kampf "Mann gegen Mann" ideologiefrei: Mensch gegen Mensch ausgebildet.

Vielmehr umfaßt der Katalog kriegsrechtlich nicht verbotener Kriegshandlungen auch flächendeckendes Töten, das "zu Nebenverlusten bei der Zivilbevölkerung" führen darf, sofern diese dadurch nicht in unverhältnismäßiger Größenordnung ausgerottet wird, d. h. sofern der militärische Vorteil" gegenüber den unvermeidlichen Begleitschäden überwiegt".

Was kriegsrechtlich nicht verboten ist, gilt innerstaatlich bei entsprechendem Befehl als Dienstpflicht. [Art.51 IV, V der "Grundregeln des Humanitären Kriegsvölkerrechts aus dem I. Genfer Zusatzprotokoll vom 10. Juni 1977" verbietet nur "unterschiedslose" Angriffe, d.h. solche, die zu "Nebenverlusten" führen, welche "in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren Vorteil stehen" - zit. nach Krüger-Sprengel, NZWehrr 1981, 121 (130). Johanny (Mein Recht als Wehrpflichtiger S. 211) versteht unter kriegsgerechter Verhältnismäßigkeit, daß der Schaden und die Zahl der Opfer,in einem erträglichen Verhältnis zum militärischen Zweck stehen".]

Das militärische Prinzip von Befehl und Gehorsam setzt beim Soldaten die "uneingeschränkte Bereitschaft" voraus, alle militärisch zulässigen Befehle "nach besten Kräften" zu erfüllen. Ein Soldat, der heute erklärt, in einem Krieg den Befehl zum Einsatz von Kernwaffen auf deutschem Boden nicht befolgen zu wollen, verstößt damit bereits jetzt gegen soldatische "Pflichten" und soll nur noch auf "seiner eingeschränkten Verwendungsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit" entsprechenden Dienstposten eingesetzt werden - so Knud Heuer in: Neue Zeitschrift für Wehrrecht (NZWehrr) 1986, S. 98 (99, 102).

Lizenz zum Töten

[...] Wer kann eigentlich "erlauben", Menschen umzubringen? Wer z. B. ein Kind verbrennt, tötet grausam und begeht damit gemäß § 211 Strafgesetzbuch einen Mord. Kann derselbe Vorgang Verbrechen und Rechtspflicht zugleich sein? Was bringt junge Männer dazu, sich rechtlich verpflichtet zu fühlen, auf Befehl Menschen zu töten? Das Kriegsrecht ist nicht mehr als ein international vereinbarter Sanktionsverzicht für Kapitalverbrechen. Staaten und Einzelpersonen wird bei Einhaltung der Schlachtordnung Straffreiheit garantiert. Folglich steht Mord auf dem Lehrplan jeder Armee.

Zu verhindern, daß der Mord auch Mord genannt wird, und den Lehrstoff effizient zu vermitteln, hilft die nützliche Fiktion der Wertfreiheit militärischer Gewalt und der selbst Massenmord reinwaschenden Kraft des Befehls. [...]

Es kann bei näherer Betrachtung nicht überraschen, daß der wahre Charakter des Kriegsrechts verheimlicht und das Töten im Krieg als "gerechtfertigt" angesehen wird.

Es muß als rechtmäßig ausgegeben werden, weil Soldaten Menschen sind und somit auch über ein menschliches Gewissen verfügen, das sie befähigt, "das Unrecht der Tat einzusehen" und "nach dieser Einsicht zu handeln" ( 20 StGB) wenn sie Mord oder Totschlag wertungsmäßig als solche erkennen.

Bewußtseinssteuerung

Diese Erkenntnis durch manipulative Bewußtseinssteuerung zu verhindern, ist militärideologisches Gebot, weil Funktionsbedingung jeder soldatischen Ausbildung. Wie zerstörerisch die Gewöhnung an den Verhaltenskodex militärischer Gewalt auf Menschen wirkt, zeigt ein Blick auf das unserer Rechtsordnung zugrundeliegende allgemeine Menschenbild, das in 20 StGB deutlichen Ausdruck findet. Wer, ohne in Notwehr zu handeln, einen Menschen tötet, muß schon mit einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung, mit Schwachsinn oder einer "schweren anderen seelischen Abartigkeit" aufwarten können, will er glaubhaftmachen, dies nicht als Unrecht begriffen zu haben. Mit anderen Worten: Unrechtseinsicht wird bei gesunden Menschen normaler Intelligenz als selbstverständlich vorausgesetzt. Im Strafrecht.

In der Armee heißt die "seelische Abartigkeit" dann "soldatische Tugend", die gerechtfertigt wird durch den "Verteidigungsauftrag" der Bundeswehr. Aber "Verteidigung" ist nur ein Wort, denn "Verteidigung" hat für Soldaten alles zu sein, was die jeweilige Regierung so nennt:

Die Vorstellung, nicht genügend gerüstet zu sein, kann in bestimmten politischen Situationen zu einem Bedrohungssyndrom werden, das so massiv empfunden werden kann, daß nur noch eine erste Waffenanwendung als einzig übrigbleibender Ausweg angesehen wird, die eigene Existenz zu sichern. All diese hochsensiblen politischen Entscheidungen, wann eine erste Waffenanwendung Verteidigung ist, können von den Soldaten nicht nachvollzogen werden, es sei denn, sie gehören zum militärischen Beraterstab der Regierung. Die Entscheidung der Staaten, das Recht im Kriege allen beteiligten Staaten gleichmäßig zukommen zu lassen, war die notwendige Konsequenz aus der komplexen politischen Wirklichkeit, die eindeutige Entscheidungen nach Recht und Unrecht nicht mehr zuläßt. ... (Beckert, wie vor [Erwin Beckert in: NZWehrr 1984, S.18/19])

[...] Durch die militärideologischen Angriffe auf ihr natürliches Rechtsbewußtsein werden sie [die Soldaten] in eine fundamentale Wertschizophrenie gestoßen, die sie aber verdrängen müssen, weil sie keinen Weg finden, diesen In-sich-Widerspruch durch eindeutige Orientierung aufzulösen. Da aber Militarismus mit Demokratie ebensowenig in Einklang zu bringen ist, wie ein gesundes Selbstwertgefühl mit dem diskriminierenden Sonderstatus eines "Soldaten", bleibt Männern - und uns allen - m.E. gar nichts anderes übrig, als das Übel endlich an der Wurzel anzugehen und gegen die Instrumentalisierung von Menschen, speziell Männern, für militärische Zwecke zu kämpfen. Nicht der Wehrdienstverweigerer ist pervers, sondern die Welt in der er lebt. [...]

Auswahl, Kürzungen und Teilüberschriften: Rainer Scheer
Die Quellen der Zitate liegen der Redaktion vor und können bei Bedarf nachgefragt werden.


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