Aus Ausgabe 3-4/93 (Juli)

Justiz und Pazifismus

Es gibt - oder es gab (?) - einen traditionellen Wesenszug der deutschen Justiz: eine Obrigkeitsmentalität in dem Sinne, daß Juristen sich im Konflikt zwischen Macht und Freiheit meistens auf die Seite der Machthaber geschlagen haben. Höhepunkte erreichte diese Justizpraxis in Prozessen mit militär-politischem Hintergrund insbesondere dann, wenn es um die Durchsetzung einer umstrittenen Remilitarisierung oder Hochrüstung oder sonst darum ging, Kritiker der Streitmächte und von Kriegsvorbereitungen mundtot zu machen.

Um Pazifisten zu kriminalisieren oder Militaristen zu schützen, griffen die Gerichte immer wieder zu abenteuerlichen Begriffskonstruktionen. In der Minderzahl blieben demokratisch-rechtsstaatliche Entscheidungen, die das Militär in seine Schranken wiesen und Pazifisten Meinungsfreiheit zugestanden. Die justizförmige Bekämpfung des Friedensgedankens läßt sich nach Art der strafrechtlichen Vorwürfe in verschiedene Gruppen einteilen: Verfahren wegen angeblichen Landesverrats, Wehrverrats, Wehrkraftzersetzung, Verfassungsverrat, Nötigung und immer wieder wegen Beleidigung von Soldaten und Militärpolitikern. Nach Einführung von Artikel 4 Grundgesetz ist die versuchte Aushöhlung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung hinzugekommen. Angesichts der ständigen Fragen nach Kontinuitäten wird es bei dem folgenden Versuch eines kurzen geschichtlichen Abrisses zwangsläufig immer wieder zu zeitlichen Vor- und Rückblenden kommen müssen.

Die Verfahren gegen Rosa Luxemburg

Am 24.9.1913 sprach Rosa Luxemburg in Frankfurt "Gegen Militarismus und imperialistischen Krieg". Das führte zur Anklage, zum Ungehorsam gegen die Obrigkeit aufgewiegelt zu haben. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Frankfurt sagte ein Polizeispitzel aus, Rosa Luxemburg habe erklärt: "Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffe gegen unsere französischen oder anderen Brüder zu erheben, dann rufen wir: 'Das tun wir nicht.'" Trotz zweifelhafter Rechts- und Beweislage - Fragen des Verteidigers zur Glaubwürdigkeit des Zeugen wurden abgelehnt - wurde Rosa Luxemburg am 20.2.1914 zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt. Nur wenige Monate nach Verbüßung der Strafe wurde sie im Juli 1916 erneut verhaftet - diesmal war es "Schutzhaft" - und bis zu 8.11.1918 in verschiedenen Gefängnissen inhaftiert.

Bezeichnend für die meisten Prozesse gegen Friedensfreunde ist die Scheu der Gerichte vor einer umfassenden Wahrheitsermittlung. Oft wurden Beweisanträge mit der Erklärung zurückgewiesen, auf die behauptete Tatsache komme es nicht an. Was aber, wenn der Angeklagte, dem Verunglimpfung der Streitkräfte vorgeworfen wurde, den Wahrheitsbeweis antrat? Eben dies geschah in einem weiteren Prozeß gegen Rosa Luxemburg. Auf einer großen Freiburger Volksversammlung am 7.3. 1914 hatte sie die ständigen Soldatenmißhandlungen in der deutschen Armee kritisiert. Die Verteidiger von Rosa Luxemburg warteten schon am ersten Prozeßtage, 29.6.1914, vor dem Landgericht Berlin mit Zeugenmaterial für rund 30.000 Soldatenmißhandlungen auf (Ergebnis von Aufrufen in der sozialdemokratischen Presse). Schon am ersten Tag erschienen ca. 100 von der Verteidigung gestellte Zeugen, die ganz konkret über scheußliche Quälereien, in einigen Fällen mit Selbstmordfolge, berichten sollten. In einer solchen Situation hat der Angeklagte einen Anspruch auf Freispruch. Um aber den guten Ruf der Armee zu wahren, verlegte sich das Gericht darauf, den Prozeß auf unbestimmte Zeit zu vertagen.

Das Verfahren gegen Karl Liebknecht

In der damals Aufsehen erregenden Schrift "Militarismus und Antimilitarismus" (1907) deckte Liebknecht das weit verzweigte System des preußisch-deutschen Militarismus auf und wies auf seine Gefährlichkeit hin. Der Proletarier in der Armee diene nicht dem Vaterland, sondern dem Schutz der herrschenden Klasse. Das Reichsgericht verurteilte ihn deshalb wegen Hochverrats zu 1 1/2 Jahren Festungshaft. Anläßlich seines Strafantritts kam es unter der Berliner Arbeiterschaft zu einer großen Sympathiekundgebung; noch während der Haftzeit wurde Liebknecht 1907 ins Preußische Abgeordnetenhaus gewählt. Bezeichnend für die Schieflage und Rüstungsfreundlichkeit der Justiz ist auch die Reaktion, nach dem Liebknecht als Reichstagsabgeordneter im Jahre 1912 Zusammenhänge zwischen den ständigen Steigerungen des Rüstungshaushalts und dem Rüstungskapital beleuchtet und dies durch Hinweise auf Bestechungen hoher Beamter durch die Firma Krupp konkretisiert hatte: Die meisten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen Rüstungsmanager wurden eingestellt.

Am 1. Mai 1916 veranstaltete der Spartakus-Bund unter Führung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg eine nicht angemeldete Demonstration in Berlin auf dem Potsdamer Platz. Fast 10.000 Menschen kamen. Nach dem Ausruf "Nieder mit dem Krieg, nieder mit der Regierung" wurde Liebknecht festgenommen. Am 28. Juni 1916 wurde er zu 2 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt. Als Antwort darauf kam es in Berlin zu einem Streik von 55.000 Munitionsarbeitern. Im Berufungsverfahren verschärfte das Oberkriegsgericht durch Urteil vom 23.9.1916 die Strafe auf 4 Jahre, 1 Monat Zuchthaus; auch erkannte es Liebknecht wegen "ehrloser Gesinnung" die bürgerlichen Ehrenrechte auf 6 Jahre ab (das bedeutete für diesen Zeitraum automatisch Berufsverbot für die Anwaltstätigkeit und Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts).

Hier sollte man sich an das Urteil des Münchner Volksgerichts vom 9.11. 1923 gegen Hitler erinnern. Die nach dem Republikschutzgesetz bei Ausländern in Hochverratsfällen zwingend vorgeschriebene Ausweisung lehnte das Gericht mit der Begründung ab: "Auf einen Mann, der so deutsch denkt und fühlt wie Hitler, ... kann das Republikschutzgesetz keine Anwendung finden." Offensichtlich hatte das Gericht dabei vor allem den Kampf Hitlers gegen die völkerrechtliche Beschränkung der Wiederaufrüstung Deutschlands im Auge.

Justiz und Pazifismus in der Weimarer Republik

Aus den Erfahrungen mit dem Wahnwitz des ersten Weltkrieges entwickelte sich ab 1919 neben den revanchistischen Positionen eine weitgreifende Bewegung gegen Krieg und Militarismus. Politikern und Juristen, die aus einem Krieg nichts gelernt hatten und im Begriff waren, geschichtliche Fehler zu wiederholen, mußte die vorbehaltlose Suche nach den Ursachen des Krieges ein Dorn im Auge sein. Das bekamen auch die Friedensfreunde der Weimarer Republik zu spüren, als sie sich um die Aufklärung der Ursachen des ersten Weltkrieges und der deutschen Kriegsverbrechen bemühten. Bereits die geschichtliche Aufarbeitung wurde von Gerichten als strafbarer Landesverrat gewertet.

Einen Höhepunkt erreichte diese justizförmige Geschichtsunterdrückung in dem Prozeß gegen den pazifistischen Journalisten und Politiker Felix Fechenbach. Dieser hatte interessantes Material an die Öffentlichkeit gebracht: ein Telegramm des bayrischen Gesandten beim Vatikan, das die deutsche (und päpstliche) Kriegstreiberei belegte, sowie das Memorandum eines Zentrumpolitikers von 1914 mit auf eine europäische Großraumherrschaft gerichteten deutschen Annektionsplänen für den erwarteten Sieg. Auch hatte er eine englische Zeitung über illegale rechtsradikale paramilitärische Geheimorganisationen unterrichtet. Deswegen verurteilte ihn das Volksgericht München am 20.10.1922 wegen "Landesverrats" zu 11 Jahren Zuchthaus.

Besonders große Verdienste in der Friedensarbeit erwarb sich der Heidelberger Mathematikprofessor Emil Julius Gumbel. Er verarbeitete in den Jahren 1919 die Erfahrungen des ersten Weltkrieges. Als er 1924 auf einer "Nie wieder Krieg-Veranstaltung" vom Schlachtfeld als "Feld der Unehre" sprach, kam es zu einem ersten Disziplinarverfahren der Universität, das nur durch die Fürsprache Albert Einsteins, Karl Jaspers und anderer Prominenter im Sande verlief. Den Haß der Militaristen - und drei später eingestellte Verfahren wegen "Landesverrats" - hatte Gumbel sich schon vorher durch seine Aufsehen erregenden Enthüllungen über die Verfolgungspraxis der Weimarer Justiz bei politischen Morden und über die Tätigkeit der illegalen militärischen Geheimbünde zugezogen. Die Wut verstärkte sich nach einer Veranstaltung im Mai 1932, auf der Gumbel erklärte, die einzig angemessene Form eines Mahnmals für den ersten Weltkrieg sei die Gestalt einer Kohlrübe (in Anspielung auf die Hauptmahlzeit der breiten Volksschichten im ersten Weltkrieg). Darauf wurde ihm auf Antrag der Heidelberger Universität am 5.8.1932 vom badischen Kultusministerium die Lehrbefugnis entzogen. Erschwerend wurde seine "weitreichende Verständnislosigkeit gegenüber andersgearteten Anschauungen" und seine "Unterschriftensammlung zugunsten des Landesverräters von Ossietzky" gewertet. Gumbel wußte, was er mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage von einer durchweg militaristisch eingestellten Justiz zu erwarten hatte, und emigrierte noch vor der "Machtübernahme".

Das Wesen des Krieges darf nicht beim Namen genannt werden - weitere Beleidigungsprozesse

Der Versuch der Warner, das Grauen und das Inhumane des Krieges beim Namen zu nennen, ist von der Justiz immer wieder mit Schärfe bekämpft worden.

Unter den vielen Prozessen, die gegen Carl von Ossietzky angestrengt wurden, wurde er auch wegen Beleidigung des Militärs angeklagt. Am 4.8.1931 veröffentlichte er zum Jahrestage des Kriegsausbruchs von 1914 eine Glosse von Kurt Tucholsky. Ossietzky ergänzte den Artikel:

"Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes auf denen war Mord obligatorisch, während der eine halbe Stunde davon ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder."

Reichswehrminister Groener stellte Strafantrag wegen Beleidigung. Die Verteidiger Ossietzkys belegten, daß u.a. Voltaire, Lessing, Herder, Schiller, Goethe und Friedrich II. das Mörder-Zitat gebraucht hatten. Außerdem konnten sie sich auf eine ständige Reichsgerichtsrechtsprechung berufen, in denen bei der sog. Kollektivbeleidigung einzelnen Personen regelmäßig die Legitimation, sich beleidigt zu fühlen, abgesprochen worden war. Ohnehin wollte der inkriminierte Ausdruck nicht als Beleidigung des einzelnen unter Befehl handelnden Soldaten verstanden werden, sondern als moralischer Appell, sich an den Grausamkeiten des Krieges nicht zu beteiligen. Ossietzky sagte in seinem Plädoyer: Der lautstarken Verherrlichungspropaganda müsse man immer wieder entgegenhalten, daß Krieg nichts Heldenhaftes bedeute, sondern nur Schrecken und Verzweiflung über die Menschen bringe. Die Staatsanwaltschaft beantragte sechs Monate Gefängnis. Damals wurde Ossietzky freigesprochen - das Urteil war einem der wenigen republikanischen Richter der Weimarer Jahre zu verdanken. Sein Name ist zu Unrecht vergessen.

So übereifrig die Justiz bei der Verfolgung von Pazifisten vorging, so passiv blieb sie, wenn es darum ging, Pazifisten Schutz gegenüber Angriffen auf ihre Person zu gewähren. Ja, die Strafverfolgungsbehörden schritten mitunter nicht einmal bei politischen Morden ein. Im Mai 1920 wurde der ehemalige Marineoffizier Hans Paasche ermordet. Paasche, als engagierter Pazifist 1917 in ein Nervensanatorium gesteckt, hatte sich nach dem Kriege um die Klärung der deutschen Kriegsverbrechen und der Kriegsschuldfrage bemüht und sich für die Inhaftierung und Bestrafung der für den Krieg und für die Kriegsverlängerung Verantwortlichen ausgesprochen. Unter dem Vorwand des unsinnigen Verdachts, auf Paasches Landgut befänden sich Waffen für kommunistische Kampforganisationen, ließen Offiziere eine Hausdurchsuchung bei Paasche anordnen; im Verlauf der von 60 (!) Soldaten vorgenommenen Durchsuchung wurde der wehrlose Paasche "auf der Flucht" erschossen. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen die bekannten Täter am 17.11.1920 ein, weil der Tod Paasches auf "ein Zusammentreffen nicht voraussehbarer unglücklicher Umstände zurückzuführen" sei. Bei den Schützen habe "ein entschuldbarer, ihre Strafbarkeit ausschließender Irrtum vorgelegen."

Mit solcher Nachlässigkeit ging die Justiz in unzähligen Fällen von Straftaten vor, deren Opfer Pazifisten waren, so in den Verfahren gegen die Mörder Kurt Eisners, Gustav Landauers und Matthias Erzbergers.

Mit ihrer Begünstigung von rechtsextremistischen Mördern trug die Justiz indirekt zu der Verjagung vieler Antimilitaristen noch vor 1933 bei, wie zum Beispiel des pazifistischen Philosophieprofessors Friedrich-Wilhelm Foerster, der nach konkreten Morddrohungen bereits 1922 aus Deutschland in die Schweiz floh.

Ein besonders spektakuläres Beispiel für solche Einäugigkeit der Justiz bieten die Vorgänge nach der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts. Der mit der Untersuchung der Morde beauftragte Kriegsgerichtsrat Jorns legte es - u.a. durch Förderung von Absprachen unter den Beschuldigten - bewußt darauf an, die Täter einer Bestrafung zu entziehen. Als dies Jahre später durch die Presse an die Öffentlichkeit gebracht worden war, wurde nicht etwa gegen den inzwischen zum Reichsanwalt beförderten Jorns vorgegangen; vielmehr wurde - mit Nachhilfe durch das Reichsgericht - der verantwortliche Redakteur Joseph Bornstein strafrechtlich verurteilt.

Friedensbemühungen als "Landesverrat"

Mit besonderer Energie verfolgte die Weimarer Justiz Pazifisten, wenn sie geheime Rüstungsvorkehrungen ans Licht brachten, insbesondere solche Maßnahmen, die dem Versailler Vertrag und damit der internationalen Friedensordnung zuwiderliefen. Als Landesverräter galten der Justiz auch Demokraten, die die Existenz der zahlreichen demokratie- und friedensbedrohenden geheimen Militärorganisationen - größtenteils terroristischen Vereinigungen - aufzudecken suchten. Damit begünstigte die Justiz die Todfeinde der Demokratie und der völkerrechtswidrigen Kriegsvorbereitungen.

Eines der Opfer, der schon im Kaiserreich als Pazifist verfolgte Professor Ludwig Quidde, der in einem Presseartikel vom März 1924 unter anderem die Existenz der schwarzen Reichswehr aufgedeckt hatte, entging nach anfänglicher Verhaftung einer Verurteilung nur Dank massiver internationaler Proteste. Als im Sinne der Landesverratsvorschriften schutzwürdige "Staatsgeheimnisse" wurden in der Folgezeit u.a. gewertet: die Verbindung der Reichswehr zu den erwähnten Geheimbünden, die Bildung einer "Verkehrswehr", die Sabotageakte im besetzten Ruhrgebiet verüben sollte, Mobilmachungspläne der "vaterländischen" Verbände und Staatsstreichpläne der Nationalsozialisten vom August 1923 sowie der Aufbau militanter nationalsozialistischer Kampforganisationen. Ein besonders übles Beispiel ist die Verurteilung des Oberlagerverwalters Bullerjahn durch Urteil des Reichsgerichts vom 11.12.1925 wegen "Landesverrats" zu 15 Jahren Zuchthaus. Bullerjahn hatte die "Interalliierte Militärkommission", die die Einhaltung des Versailler Vertrages zu kontrollieren hatte, über die Existenz eines illegalen (!) Waffenlager unterrichtet.

Der berühmteste "Landesverrats"-Prozeß dieser Art ist das Verfahren gegen Carl von Ossietzky wegen eines Artikels vom März 1928 in der "Weltbühne". Darin hatte von Ossietzky die Verwendung von Haushaltsmitteln für die geheime Anschaffung von Kampfflugzeugen kritisiert und auf die geheime militärische Zusammenarbeit mit der Sowjetunion angespielt. In dieser Information über eine völkerrechtswidrige Aufrüstung sah das Reichsgericht in dem Urteil vom 23.11.1931 den Tatbestand des Landesverrats erfüllt und verurteilte von Ossietzky zu 1 1/2 Jahren Gefängnis.

Angesichts der Möglichkeit einer Wahl zwischen den demokratischen und an einem internationalen Ausgleich interessierten Kräften einerseits und den auf Kriegsvorbereitung drängenden nationalistischen Interessengruppen stellte sich das Reichsgericht damit auf die Seite der militärischen und revanchistischen Kräfte.

Der Schutz des illegalen Staatsgeheimnisses durch Gerichte macht die über die Jahrzehnte hindurch bestehenden Kontinuitäten besonders deutlich. Schon in einem Urteil von 14. März 1928 hatte das Reichsgericht die beiden pazifistischen Journalisten Berthold Jacob und Fritz Küster wegen Landesverrats zu je 9 Monaten Festungshaft verurteilt, weil sie die völkerrechtswidrige Existenz der "Schwarzen Reichswehr" aufgedeckt hatten. Gegenüber dem geschriebenen Recht, das keinen Schutz rechtswidriger Akte des Staats kannte, konstruierte das Reichsgericht eine - sich angeblich aus dem "Naturrecht" ergebende - "Treuepflicht gegenüber Volk und Vaterland", wonach der vaterlandstreue Staatsbürger die Augen vor noch so verfassungswidrigen Zuständen verschließen müsse; allenfalls dürfe er Beschwerden über ungesetzliche Zustände an die zuständigen Behörden herantragen.

Nationalsozialismus und Pazifismus

Von einer Justiz, die lange vor 1933 die bloße kritische Aufarbeitung des zurückliegenden Krieges zu unterbinden suchte, führt ein geradliniger Weg zu den Nationalsozialisten. Wie diese mit Pazifisten umgehen würden, konnte jeder bereits in einem Antrag der NSDAP-Reichstagsfraktion zum Republikschutzgesetz im Jahre 1930 nachlesen. Der Gesetzentwurf sah für Landesverrat die Todesstrafe vor. Als Landesverrat galt auch der sog. journalistische Landesverrat. Ferner sollten die Aufforderung zur Kriegsdienstverweigerung und die Werbung für die "geistige, körperliche oder materielle Abrüstung des deutschen Volkes" wegen "Wehrverrats" mit dem Tode bestraft werden.

Der Todesstrafe war danach auch derjenige verfallen, der "öffentlich in Wort, Schrift, Druck, Bild oder in anderer Weise Deutschlands Alleinschuld oder Mitschuld am Weltkrieg behauptet." Berühmte deutsche Strafrechtslehrer - mehrere davon waren auch nach 1945 wieder hochangesehene Rechtsprofessoren - begrüßten solche Entwürfe, insbesondere (so Professor Georg Dahm) den "mutigen Verzicht auf alle tatbestandlichen Abgrenzungen" und sahen (so Professor Otto Nagler) "Defätismus aller Art" und "die Beeinträchtigung der Wehrkraft und des Wehrwillens der Nation" wirksam bekämpft.

Auf eine Verabschiedung des Gesetzes konnten die Nazis verzichten. Schon in der Nacht des Reichstagsbrandes wurden die meisten Pazifisten verhaftet und in die Konzentrationslager verschleppt. Oft bezog man sich dabei auf die Verurteilungen der Justiz der Weimarer Jahre (so im Falle von von Ossietzky und Jacob), auch dies ein Hinweis für die Kontinuität bei der Verfolgung von Pazifisten. Einen Höhepunkt erreichte die Pazifistenverfolgung im 2. Weltkrieg. Unter den an die 50.000 Todesurteilen der Wehrmachtsgerichtsbarkeit und den ungefähr 30.000 Todesurteilen des Volksgerichtshofs und der Sondergerichte waren mehrere tausend Urteile, in denen die Schuld der Verurteilten allein oder zum Teil darin gesehen wurde, daß sie in öffentlichen oder meist privaten Äußerungen den Sinn des Krieges bezweifelt, auf seine Unmenschlichkeit hingewiesen oder an der Möglichkeit des "Endsieges" gezweifelt hatten. Einer der häufigsten mit Todesstrafe geahndeten Tatbestände war die "Wehrkraftzersetzung". Hierhin gehören natürlich auch die Fälle der Hinrichtung von Soldaten, die durch "Fahnenflucht" die Konsequenzen aus ihrer Einsicht gezogen hatten.

Aufarbeitung nach 1945

Die Erfahrungen des Dritten Reiches und die schrecklichen Ergebnisse des zweiten deutschen Großversuchs in Sachen Militarismus hätten für die Justiz der Bundesrepublik eine ausreichende Lektion sein sollen. Jedoch taten unsere Richter sich mitunter schon dann schwer, wenn es darum ging, die Verbrechen des 2. Weltkrieges aufzuarbeiten und Unrecht wiedergutzumachen, das Pazifisten durch Militaristen vor 1945 angetan worden war.

Keine Wiedergutmachung für Kriegsdienstverweigerer von 1939

Der Dreher Georg Bock aus Bremen hatte im September 1939 einem Einberufungsbefehl aus Gewissensgründen nicht Folge geleistet und den Gestellungsbefehl zerrissen. Dafür verurteilte ihn 1940 ein Kriegsgericht zu 3 1/2 Jahren Haft. Unter den Bedingungen der Haft und seines nachfolgenden Einsatzes bei einem der berüchtigten Bewährungsbataillone erlitt er schwere Gesundheitsschäden. Der Bundesgerichtshof lehnte eine Anwendung des Bundesentschädigungsgesetzes ab: Zwar habe der Kläger den Kriegsdienst aus politischer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus verweigert. Er dürfe aber nicht jenen vorgezogen werden, die es "als ihre Pflicht angesehen haben, sich dem Wehrdienst, wie er von der staatlichen Gewalt von ihnen gefordert wurde, nicht zu entziehen." Auch sei er (durch seine Weigerung, Minen zu legen) seinen Kameraden in den Rücken gefallen. Ein führender Jurist bemerkte dazu: "Auch der Unrechtsstaat, der den Gedanken der Gerechtigkeit täglich verhöhnt, erfüllt doch ... als Notdach ein Gebot der Rechtssicherheit."

Der Hitler-Krieg - ein "Kampf um Sein oder Nichtsein"

Ganz ähnlich billigte der Bundesgerichtshof in seinem Huppenkothen-Urteil von 1956 SS-Mördern die Möglichkeit zu, straflos Pazifisten und andere Angehörige des Widerstandes - darunter Dietrich Bonhoeffer - noch in den letzten Kriegstagen aufgrund einer in einer KZ-Baracke geführten gerichtlichen Scheinverhandlung hinrichten zu lassen: Insbesondere im Kriege habe der Staat ein "Recht auf Selbstbehauptung". Im 2. Weltkrieg habe sich Deutschland in einem "Kampf um Sein oder Nichtsein" befunden. In ihrem Obrigkeitsfetischismus gestatteten Richter nach 1945 Pazifisten nicht einmal, sich ihrer Hinrichtung zu widersetzen: Nachdem er im Dezember 1943 vom Kriegsgericht wegen Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt war, war dem Journalisten Garbe die Flucht gelungen, wobei er mit Verletzungsfolge einen Polizeibeamten niederschlagen mußte. Nach Kriegsende wurde er deshalb im Dezember vom Landgericht Lübeck zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt: schließlich sei daß Todesurteil rechtskräftig gewesen.

Justiz, Pazifismus und Wiederaufrüstung

Ihren ersten Beitrag zur Aufrüstung der Bundesrepublik leistete die westdeutsche Justiz dadurch, daß sie die führenden Offiziere der Hitler-Wehrmacht fast sämtlich von der Verfolgung der NS-Gewaltverbrechen ausnahm, obgleich spätestens seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen die Beteiligung der Wehrmacht u.a. an der Ermordung sowjetischer Kriegsgefangener, an der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Osten und anderer Bevölkerungsgruppen bekannt war.

Die Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden hing nicht zuletzt damit zusammen, daß die Strafverfahren sich gegen zahlreiche leitende Offiziere der Bundeswehr hätten richten müssen. Auch ist von den Richtern der mörderischen Wehrmachtskriegsgerichtsbarkeit kein einziger vor Gericht gestellt worden. Sie galten sogar als so unbelastet, daß sie vor der Übernahme in die Nachkriegsjustiz das übliche Entnazifizierungsverfahren nicht zu durchlaufen brauchten.

Darf man Nazi-Generäle "Massenmörder" nennen?

Aus den Gleichen Gründen war die Justiz zu Stelle, als Pazifisten auf die personellen Kontinuitäten zwischen Armeen vor 1945 und ab 1949/55 hinwiesen. Dies bekam auch Lorenz Knorr zu Spüren. In einer Rede im Juli 1961 in Solingen hatte er unter Namensnennung einige Generäle der Bundeswehr als "Nazi-Generäle" und "Massenmörder" bezeichnet. Er wurde zunächst durch das Landgericht Wuppertal am 27.4.1964 zu 2.000 DM Geldstrafe verurteilt. Nachdem die Sache wegen eines prozessualen Fehlers an des Landgericht zurückverwiesen worden war, hätte Beweis über die Behauptungen der Verteidigung zu der Verbrechensbeteiligung der Generäle erhoben werden müssen. Das Gericht verschleppte das Verfahren acht Jahre lang, um sich dann am 3.5.1972 mit einer Einstellung wegen Geringfügigkeit (Par. 153 StPO) aus der Affäre zu ziehen.

Wir kennen dies zur Gesichtswahrung angewandte Muster einer in eine ausweglose Lage geratenen militärfreundlichen Justiz schon aus dem zweiten Verfahren gegen Rosa Luxemburg. Wir werden dem Trick in der weiteren Geschichte der BRD immer wieder begegnen, z.B. im Verfahren "Soldaten sind Mörder" oder in der Rechtsprechung zu den Sitzblockaden gegen die Raketenstationierung.

Justiz gibt der Remilitarisierung Flankenschutz

Besonders gefordert mußte eine staatstreue, aufrüstungsfreundliche Justiz sich sehen, wenn es galt, Widerspruch gegen die Remilitarisierung den Boden zu entziehen. Nach den Erfahrungen zweier Weltkriege mußte sich die Justiz zwar subtilerer Mittel bedienen, als die Justiz zwischen 1919 und 1933. Im Vergleich zur Weimarer stand ihr jetzt aber seit 1950 ein geändertes (teils aus dem NS-Staat übernommenes) politisches Strafrecht zu Gebote, dessen Hauptmerkmal der sog. "vorverlegte Staatsschutz" war.

Ein ernsthafter Gegner der Wiederaufrüstung waren die seit 1951 gebildeten "Ausschüsse für Volksbefragung" unter dem Dach des "Hauptausschusses für Volksbefragung". Diese hatten rund 72.000 Aktionen in Betrieben, Wohnvierteln und Dörfern durchgeführt, bei denen sich annähernd 10 Millionen Bürger gegen die Aufrüstung und für den Abschluß eines Friedensvertrages ausgesprochen hatten. Diesem Versuch, die Bevölkerung in die politische Willensbildung in einer Existenzfrage einzubeziehen, schob der Bundesgerichtshof einen strafrechtlichen Riegel vor. Die Volksbefragung wurde als "Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik" angesehen. In den Prozeß gegen die Funktionäre des Hauptausschusses (Neumann, Dickel und Bechtel) verhängte er im Urteil vom 2.8.1954 Gefängnisstrafen mit der Konstruktion, sie hätten "Hetze" gegen die Bundesregierung und die SPD betrieben, und zwar "mittels einer bestimmten Methode" systematisch, so daß die Ausschüsse als "kriminelle Vereinigung" im Sinne der 90a, 129 StGB und die Angeklagten als Rädelsführer anzusehen seien.

Zur Strategie der Justiz gehörte es, daß die Anklage ausschließlich Kommunisten herausgriff, um damit den Anschein zu erwecken, daß es nur um die Bekämpfung kommunistischer Propaganda, nicht aber pazifistischer Bestrebungen ging. Insgesamt wurden im Verlauf der Volksbefragung 7.321 Helfer verhaftet, über 1.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dies und die ständigen Bemühungen der Bundesregierung, die Volksbefragungsaktion als kommunistisch und von Moskau gesteuert zu diffamieren, hatte schließlich zum Ergebnis, daß fast alle Nichtkommunisten aus den zunächst von vielen gesellschaftlichen Gruppen unterstützen Volksbefragungsausschüssen austraten, bis in der Tat schließlich nur noch ein harter Kern von Kommunisten übrig blieb.

Nach einem ähnlichen Muster ging die Justiz in dem Verfahren gegen das 1949 gegründete Friedenskomitee vor. In diesem umfangreichsten politischen Prozeß jener Jahre verurteilte das Landgericht Düsseldorf am 8. April 1960 nach 56-tägiger Verhandlung die Angeklagten zu Gefängnisstrafen.

Rechtsprechung zum illegalen Staatsgeheimnis ist geblieben

Obgleich die Geschichte den Warnern wie von Ossietzky recht gegeben hat, hat die bundesdeutsche Justiz daraus keine nachhaltigen Lehren gezogen. Insbesondere hat sie im Paetsch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts die u.a. gegen von Ossietzky angewandte Rechtsprechung des Reichsgerichts zum illegalen Staatsgeheimnis übernommen. Für den Militärbereich engte das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit zur demokratischen Information und Pressekritik noch stärker ein, indem es schon im "Spiegel-Urteil" ausführte: "Das Informationsbedürfnis tritt (im Bereich der militärisch-technischen Einzelheiten) zurück, einmal, weil die Leser mangels zureichender Fachkenntnisse sich ein selbständiges Urteil ohnehin nicht bilden können, zum anderen, weil sie dieser Erkenntnisse zu ihrer politischen Urteilsbildung auch nicht bedürfen."

Gesinnungsjustiz gegen Pazifisten

Bei der Abwehr des Pazifismus begnügte sich die Justiz nicht mit dem strafrechtlichen Instrumentarium, sondern ging gelegentlich auch mit Gesinnungsprüfungen im Rahmen der Berufsverbotspraxis gegen Pazifisten vor. So hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dem Pädagogen Gerhard Bitterwolf die Einstellung als Lehrer u.a. mit der Begründung versagt, er sei bayerischer Landesvorsitzender der Deutschen Friedensunion (DFU). Nach bewährtem Muster wurde hier wieder einmal der Kommunismusverdacht ins Spiel gebracht. Auch im Fall des Lehramtsbewerbers Heinrich Häberlein war für das in erster Instanz ergangene Berufsverbotsurteil nach Einschätzung vieler Beobachter mitentscheidend, daß Häberlein Landesvorsitzender der Sektion Bayern der DFG-VK war.

Und heute?

In den nun bald 50 Jahren seit 1945 hat die deutsche Justiz einen erheblichen Wandel durchgemacht. An die Stelle des in den ersten Jahrzehnten der BRD noch vorherrschenden aggressiven Anti-Pazifismus ist ein zunehmender Pluralismus getreten. Dafür einige Beispiele:

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur NS-Militärjustiz

Jahrzehntelang - zuletzt noch 1984 - hatte das BSG praktisch alle der inzwischen auf eine Anzahl bis zu 50.000 geschätzten Todesurteile der Wehrmachtskriegsgerichtsbarkeit für gerechtfertigt gehalten. Und die Justiz der BRD war bis in höchste Stellen hinein mit zahlreichen Kriegsrichtern besetzt. Mit dieser Kontinuität hat das BSG inzwischen gebrochen. Am 11.9.1991 stellte es die Vermutung der "offensichtlichen Rechtswidrigkeit" der Urteile der NS-Militärjustiz auf und sprach der Witwe eines im 2. Weltkrieg hingerichteten Soldaten eine Entschädigung zu. Abgesehen davon, daß die Entscheidung für die meisten Hinterbliebenen viel zu spät kam, ist allerdings das für Juristen Beschämende, daß die diesem Durchbruch zugrundeliegende Forschungsarbeit nicht von Juristen, sondern von einem wissenschaftlichen Außenseiter geleistet worden ist.

"Soldaten sind Mörder"

Noch immer sorgen deutsche Gerichte dafür, daß der Krieg nicht mit angemessenen Worten geächtet werden darf. Acht Jahre nach dem umstrittenen Satz "Alle Soldaten sind potentielle Mörder" ist das Strafverfahren gegen den Frankfurter Arzt Peter Augst zwar kürzlich wegen "geringer Schuld" nach Par. 153 StPO eingestellt worden. Was bedeutet das aber schon angesichts der maßlosen Energie, mit der die Justiz den Pazifisten so lange Zeit mit dem Verfahren überzogen hat. Und die Strafdrohung bleibt. Zu einem Freispruch konnte die Frankfurter Justiz sich nicht durchringen. Inzwischen haben andere Gerichte ähnliche militärkritische Äußerungen erneut kriminalisiert, ohne zu berücksichtigen, daß mit der Apostrophierung als "Mörder" die Soldaten als Rollenträger, nicht als Individuen betroffen werden. Entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach in der öffentlichen Auseinandersetzung auch überspitzt geäußerte Kritik hingenommen werden muß - sie bringt die Diskussion oft erst in Gang -, arbeiten konservative Richter offensichtlich darauf hin, öffentliche Kritik am Militär zu entmutigen. Positiv zu würdigen bleibt, daß die zwischendurch mit der Sache befaßte Strafkammer in Frankfurt sich von ihrem Freispruch durch die von Politikern massiv betriebene Stimmungsmache nicht hat abbringen lassen.

Eine ähnliche Gemengelage läßt das Verfahren gegen den Major Helmuth Prieß erkennen. Bekanntlich hatte Prieß als Sprecher des "Darmstädter Signals" nichts anderes getan, als das freisprechende Frankfurter Soldaten-Urteil begrüßt. Dafür wurde er durch Urteil des Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts um zwei Ränge degradiert (mit entsprechenden finanziellen Folgen). Erst nachdem das Bundesverfassungsgericht das Urteil aufgehoben und auf die grotesken Sachverhaltsverzerrungen des Wehrdienstsenats hingewiesen hatte, wurde die Sanktion auf die - nun in der Tat eher symbolische - Geldbuße von 500 DM herabgesetzt. Erfreulich und für deutsche Richter ungewohnt ist die Selbstkritik, zu der die Richter des Wehrdienstsenats sich in dem neuen Urteil bereitfanden.

Pazifist von Ossietzky noch immer "Landesverräter"

Muß man es als ein Zeichen von Kontinuität werten, daß der Bundesgerichtshof sich geweigert hat, im Wege eines Wiederaufnahmeverfahrens das berüchtigte Landesverratsurteil des Reichsgerichts vom 23.11. 1931 aus der Welt zu schaffen? Zwar haben die Richter des BGH sich hinter Verfahrensfragen versteckt. Sie wären aber nicht daran gehindert gewesen, das reaktionäre Reichsgerichtsurteil wenigstens indirekt einer Kritik zu unterziehen (in anderen Urteilen des BGH, ja sogar in dem Beschluß vom 3.12.1992, finden sich durchaus Stellungnahmen und Wertungen, die nicht unbedingt entscheidungserheblich sind). Indem der BGH geflissentlich jeder abwertenden Kritik des Reichsgerichtsurteils aus dem Wege gegangen ist - am Ende des Beschlusses findet er für das Urteil unnötigerweise sogar freundliche Worte -, wollte er der Justiz ersichtlich die Türen offenhalten für den Fall, daß es erneut gelten sollte, eine Aufdeckung verfassungswidriger militärischer Aktionen mit strafrechtlichen Mitteln abzuwehren.

Die Justiz und der Kampf gegen die atomare Hochrüstung

Daß es - trotz aller indirekten und subtil auch in der bundesdeutschen Justiz wirksamen Mechanismen zur Justizlenkung - nicht mehr gelingt, die Richterschaft geschlossen auf eine friedensfeindliche Rechtsprechung auszurichten, zeigt die Rechtsprechung zu den Sitzdemonstrationen vor Raketendepots. Was nämlich der Öffentlichkeit weitgehend verborgen geblieben ist: die Mehrzahl der mit Blockadeprozessen befaßten Gerichte hat die Sitzdemonstranten freigesprochen. Dies und das überzeugende Plädoyer der Strafrechtswissenschaft für Freispruch haben die konservativen Gerichte wider besseren Wissen verschwiegen. Durch diese diskursfeindliche Meinungsmanipulation und dadurch, daß die allermeisten Prozesse in Bundesländern mit CDU-Personalpolitik stattfanden, sind mindestens 3.000 Bürgerinnen und Bürger zu Geldstrafen, teils sogar zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Dabei schreckten die atomwaffenfreundlichen Richter insbesondere des 1. Strafsenats des BGH vor noch so abenteuerlichen Begriffskonstruktionen nicht zurück. In seinem berüchtigten Beschluß vom 5.5.1988 erklärte er, die Frage nach der Verwerflichkeit des Sitzens auf der Straße prüfend: Bei der Frage nach der Tatbestandsmäßigkeit der Demonstrationen seien solche Teile des zu prüfenden Lebenssachverhalts zu ignorieren, die dem angestrebten Verurteilungsergebnis entgegenstünden; die wesentliche Motivation der Demonstranten, vom BGH zu bloßen "Fernzielen" herabgestuft, sei "nicht zu berücksichtigen".

Ähnlich lehnte der berüchtigte Richter Dr. Offenloch in Schwäbisch Gmünd es von vornherein ab, sich mit solchen Rechtsauffassungen zu befassen, mit denen "die juristische Auseinandersetzung mit der Blockadebewegung ... nicht zu leisten" sei - ein verblüffend offenes Eingeständnis rechtsbeugerischen Tuns.

Das Neuartige, das Anlaß zu Hoffnungen in Richtung einer demokratischen Justiz gibt, ist nun: die konservative Blockaderechtsprechung hat sich nicht durchgesetzt. Immer wieder haben demokratische Richter, Karrierenachteile und andere drohende Zurücksetzungen in den Wind schlagend, dagegen opponiert. Und sie haben Erfolg gehabt. Von einer Öffentlichkeit, die sich von ständig neuen Affären passiv unterhalten läßt, gleichfalls nicht zur Kenntnis genommen, haben nämlich inzwischen die konservativen Richter ihre Verurteilungspraxis aufgegeben. Mit der bemerkenswerten Wendung, die eigene bisherige (verurteilende) Nötigungsrechtsprechung sei "gescheitert", auch seien die Motive der Sitzdemonstranten doch zu berücksichtigen, hat der für die Mutlangen-Prozesse maßgebliche Stuttgarter Strafsenat im Jahre 1991/92 die Weichen für die Amts- und Landgerichte so gestellt, daß von nun an freigesprochen werden müßte.

Auch hier hat sich allerdings eine Unfähigkeit der Justiz gezeigt, geschehenes Unrecht nachträglich einzugestehen, Unrecht gegenüber mehr als 3.000 Bürgerinnen und Bürgern. So hat man sich erneut auf den nun schon bekannten Trick verlegt, die Grundsatzfrage unentschieden zu lassen. In Baden-Württemberg beginnt man jetzt - auf zweifelhafter Rechtsgrundlage - die Verfahren wegen angeblich unzumutbarer Verfahrensdauer einzustellen, obgleich viele Angeklagte auf einer Sachentscheidung bestehen.

Insgesamt hat das Scheitern der rüstungsfreundlichen Blockaderechtsprechung aber eines ganz deutlich gemacht: weder im totalitären Staat noch in der Demokratie kann man sich darauf verlassen, daß die Justiz von selbst gerecht funktioniert. Nur wer die von Oben betriebene Rechtsentwicklung durch eine Rechtsentwicklung von Unten zu beeinflussen sucht, wird den demokratischen Bürgerpflichten gerecht.

Die Justiz nicht aufgeben

Der veränderten Blockaderechtsprechung - und ähnliche Entwicklungen gibt es auch in anderen Rechtsprechungsbereichen - entsprechen Veränderungen in der Einstellung der Richterschaft insgesamt. Auf der einen Seite gibt es zwar noch immer viele Richter und Staatsanwälte, die sich dem Militärbereich näher fühlen als denjenigen, die aus der Erkenntnis der Bedrohung Konsequenzen gezogen sehen möchten. Auf der anderen Seite waren es aber weit mehr als Tausend Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die sich aktiv gegen die Hochrüstung engagiert haben - ungeachtet disziplinarrechtlicher und strafrechtlicher Verfolgung -, so wie sie sich heute gegen Einschränkungen von Grundrechten wie des Asylrechts wenden. Bei der nötigen Entwicklung eines neuen richterlichen Selbstverständnisses kommt dem Rückhalt, den solche Richter in ihren eigenen Organisationen, insbesondere der Gewerkschaft, finden, allerdings ebenso große Bedeutung zu wie dem Gefühl der Solidarität mit den Organisationen der Rüstungsgegner. Schon aus diesem Grunde und um auch mit innerlich noch schwankenden Richtern ins Gespräch zu kommen, sollten Friedensfreunde die Richterschaft nicht pauschal abschreiben, sondern nach Möglichkeiten verstärkter Zusammenarbeit zwischen den pazifistischen Gruppen der verschiedenen Berufe suchen.

(Helmut Kramer)


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